Christian Lindner: „Family Equity ist eine Alternative zu Private Equity!“

Familienunternehmen organisieren sich in Deutschland traditionell autark. Das Modell befindet sich seit einiger Zeit im Wandel. Darüber tauschten sich im Dezember im Office PETER MAY der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner und Jörg Hueber, geschäftsführender Gesellschafter, aus. Beide stehen seit vielen Jahren in Kontakt. Anlass des aktuellen Besuchs waren die neuen Tätigkeiten von Christian Lindner, der nach seiner Laufbahn in der Politik einen Schwerpunkt in operativen und beratenden Rollen für Familienunternehmen gesetzt hat.

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Der ehemalige Finanzminister im Gespräch mit Jörg Hueber

 

Jörg Hueber: Herr Lindner, als ehemaliger Finanzminister einer G7-Volkswirtschaft sind Sie unverändert eine gefragte Stimme. In diesem Jahr hat man Sie beispielsweise auf zahlreichen internationalen Kongressen von Banken und Private-Equity-Fonds als Key Note Speaker erleben können. Viele Beobachter haben deshalb erwartet, dass Sie dort auch eine berufliche Tätigkeit aufnehmen. Dann haben Sie viele damit überrascht, dass Sie einen Schwerpunkt bei Familienunternehmen setzen. Wieso das?

Christian Lindner: Meine Vernetzung in der Finanzindustrie pflege ich weiter. Ich habe auch die Einladung von KKR angenommen, als unabhängiges Mitglied im Shareholder Board der Beteiligung Stepstone mitzuwirken. Tatsächlich habe ich aber insbesondere ein Faible für Familienunternehmen. Ich habe in meinen öffentlichen Ämtern die Substanz, die Innovationskraft und Standortloyalität von Familienunternehmen unterstützt. Genau diese Unabhängigkeit und den besonderen Charakter der Entscheidungsfindung schätze ich weiterhin, nun aber im Management und in Gremien von Familienunternehmen.

Jörg Hueber: Sie sprechen die Unabhängigkeit an. Aus guten und nachvollziehbaren Gründen organisieren sich Familienunternehmen mehrheitlich weitgehend autark. Unternehmertum, Führung, Kontrolle und Aufsicht werden durch Mitglieder der Inhaberfamilien ausgeübt, mindestens geprägt. Die operative Wertschöpfung vollzieht sich im Bewusstsein nötiger Vorsicht. In der Unternehmensfinanzierung besteht ein Vorzug in Gewinnthesaurierung gegenüber Fremdfinanzierung und bei größeren Investitionsvorhaben sind die Inhaberfamilien oftmals bereit, aus Eigenmitteln einen zusätzlichen Kapitalbeitrag zu leisten.

Christian Lindner: Deshalb haben wir es hier mit dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft zu tun. Ihr Charakter war lange ein struktureller Vorteil unserer Volkswirtschaft im globalen Vergleich. Denn anders als in den meisten gelisteten Publikumsgesellschaften können Familienunternehmen Strategien langfristiger verfolgen und die Kosten von Strategieänderungen reduzieren. Dieses Modell gerät in einer Epoche von permanenten Multikrisen allerdings unter Veränderungsdruck, wenn besondere Agilität erforderlich ist. Ich empfinde es deshalb als töricht, wenn neben den technologischen, demografischen und geopolitischen Herausforderungen mit der anstehenden Debatte über Änderungen bei der Erbschaftsteuer zusätzliche Unsicherheit provoziert wird.

Jörg Hueber: Familienunternehmen reagieren darauf. Wir bei PETER MAY beobachten eine wachsende Offenheit, das traditionelle Modell weiterzuentwickeln. Nachfolge im Eigentum innerhalb der Familie ist häufig die beste Lösung – aber nicht immer die gewünschte oder gewollte, manchmal besteht diese Option auch nicht. Wertschöpfungsketten haben sich in einer arbeitsteiligen Welt längst geöffnet und sind durch Interdependenzen begründet. Im Blick auf das Gesamtvermögen gewinnt Sicherheit durch Portfolio-Diversifikation an Bedeutung, indem neben dem Familienunternehmen weitere Investitionsgebiete entstehen. Und auch in der Kapitalbereitstellung wächst Offenheit für Kapitalpartnerschaften mit Dritten, seien es Joint Ventures oder Eigenkapitalbeiträge durch die Aufnahme von Investoren von außerhalb der Familie.

Christian Lindner: Die Öffnung ist wechselseitig. Bei meinen Gesprächen mit internationalen Investoren ist der deutsche Mittelstand ein Thema, das immer weiter an Bedeutung gewinnt. Es besteht die Erwartung, dass das deutsche Geschäftsmodell sich verändern wird, dass Nachfolge- und Wachstumsthemen den Kapitalbedarf erhöhen und dass in bestimmten Branchen eine Konsolidierung unausweichlich ist. Private Equity und Private Debt für deutsche Familienunternehmen gehörten neben den Auswirkungen der neuen deutschen Fiskalpolitik zu den Trend-Themen meiner letzten Besuche in London.

Jörg Hueber: Nehmen wir einen Schwenk in das operative Tagesgeschäft vor. Wir sind längst in einer vernetzten Welt angekommen und diese lässt sich in der Vielfalt der Interdependenzen (glücklicherweise) auch nicht zurückdrehen und in Teilen nur durch Sanktionen temporär ausbremsen. Die Segnungen des Internets, das Teilen von Daten über Cloud Services, wechselseitige operative Verbindungen der Liefer- und Wertschöpfungsketten, globalisierte Unternehmensgruppen etc. sind essenzielle Voraussetzungen modernen wirtschaftlichen Handels, Kommunizierens sowie Treiber von Effizienzverbesserungen als notwendige Grundlage wirtschaftlichen Handelns. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für Familienunternehmen?

Christian Lindner: Möglicherweise muss hier und da das Tempo erhöht werden. Ich gehöre zu den größten Bewunderern der Familienunternehmen, im Einzelfall aber scheint mir die Aufnahmefähigkeit für disruptive Technologien gehemmt zu sein. Beispielsweise wird Künstliche Intelligenz teilweise noch spielerisch-experimentell betrachtet. Eine Chance könnte darin bestehen, dass sich Familienvermögen auch stärker in der Assetklasse Venture Capital engagieren, um gewissermaßen ausgelagerte Forschungsabteilungen für das eigene Haus zu entwickeln. Auch die Kooperation zwischen Familienunternehmern für Technologiepartnerschaften oder bei Finanzierungsfragen bietet noch weitere Entwicklungschancen. Diese Beobachtungen sind nicht neu, aber es fehlt weiterhin an Umsetzungswillen und Umsetzungsgeschwindigkeit.

Jörg Hueber: Hier sehen wir bereits eine positive Entwicklung. Der übergroße Teil deutscher Unternehmerfamilien hat längst damit begonnen, das Familienvermögen für die Zukunft zu sichern. Geschäftsmodelle ihrer Familienunternehmen werden durch Internationalisierung von Standorten, Mitigation von Lieferanten- und Kundenabhängigkeiten und Verbreiterung des Produktangebotes diversifiziert. Gleiches beobachten wir in Bezug auf die Vermögensbewirtschaftung, in dem ein hohes Übergewicht des Familienunternehmens am Gesamtfamilienvermögen gleichfalls durch Portfoliodiversifikation ausbalanciert wird. Neben das (Kern-)Familienunternehmen treten weitere Vermögensanlagen in anderen Vermögenskategorien, aber auch zunehmend weitere Unternehmensbeteiligungen, um das unternehmerische Handeln zu diversifizieren (auch, um unternehmerische Freiräume der zunehmend verzweigten Familienmitglieder zu unterstützen).

Christian Lindner: Die Internationalisierung von Familienunternehmen und -vermögen ist leider essenziell. Natürlich gehört es zur DNA, dem Standort Deutschland verbunden zu bleiben. Man kann allerdings nicht die Augen davor verschließen, dass die wirtschaftliche Dynamik hierzulande aufgrund einer Vielzahl von Gründen gehemmt ist. Sie sind teils politischer Natur und damit prinzipiell korrigierbar. Ich wünsche der Bundesregierung dafür Fortune. Allerdings lehrt mich die Erfahrung, dass das Basis-Szenario eher die Fortschreibung des Status quo sein wird. Andere hemmende Faktoren wie die Demografie sind nicht oder nur kaum korrigierbar. Die Diversifikation ist deshalb ein Gebot der Klugheit.

Jörg Hueber: Neben die Offenheit der Vermögensdiversifikation tritt gleichfalls eine wachsende Offenheit für Eigenkapitalpartnerschaften. Aus vielen Unternehmerfamilien sind zugleich Investorenfamilien geworden, in dem diese anderen Familienunternehmen Beteiligungskapital zur Verfügung stellen, sei es über Gemeinschaftsunternehmen oder als Vermögensanlage motivierte Kapitalbeteiligung.  Der Offenheit zum Investieren – seit vielen Jahren geprägt etwa durch Beteiligungen in Aktienfonds und, noch unmittelbarer, in Private Equity Fonds – folgt die Offenheit, das eigene Familienunternehmen oder Teile davon (ein Tochterunternehmen, ein Geschäftsfeld, eine Gemeinschaftsunternehmen) für Investoren von außerhalb der Familie zu öffnen. Wir bei PETER MAY beschäftigen uns auch damit, Unternehmerfamilien und Investorenfamilien zusammenführen, um Parteien mit einem durch Langfristigkeit, Vertraulichkeit und Ausgleich geprägtem Werteverständnis zueinander zu führen. Dies erfolgt etwa, um inhaberstrategische Lösungen zu erarbeiten als auch Familienunternehmen durch Kooperationen und Beteiligungskapital über Family Offices, Stiftungen und Familienbeteiligungsholdings zu stärken.  

Christian Lindner: Darin liegt für alle Beteiligten fraglos eine Chance. Family Equity oder Family Debt entwickeln sich zu wirksamen Alternativen zu Private Equity und Private Debt oder auch zur regulären Bankfinanzierung oder dem IPO. Hier Win-Win-Situationen herbeizuführen, ist verdienstvoll. Die PETER MAY-Gruppe scheint mir hier ihre führende Rolle auszubauen. Daraus können auch weitergehende Kooperationen, die Resilienz, Strategiefähigkeit und Innovationskraft stärken, wachsen. Freilich immer mit dem Vorbehalt, dass darunter die Diversifikation von Vermögen und Unternehmen nicht leidet.

Jörg Hueber: Lieber Herr Lindner, vielen Dank für unser Gespräch.

 

Über die Gesprächspartner

Christian Lindner war Bundesminister der Finanzen und elf Jahre Parteivorsitzender der FDP. Nach seiner politischen Laufbahn spezialisiert sich der 46-Jährige auf operative und beratende Rollen überwiegend in Familienunternehmen. So wird er stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Autoland AG, des mit über einer Milliarde Euro Umsatz größten unabhängigen Automobilhandelskonzerns. Daneben ist er unter anderem Mitglied des Aufsichtsrates der Lhoist Rheinkalk Holding und der Hagedorn Unternehmensgruppe. Er gehört dem Kuratorium der Stiftung Familienunternehmen an. Christian Lindner hat Politikwissenschaft und Staatsrecht studiert. Für sein Wirken im Europäischen Rat und als Vorsitzender der G7-Finanzminister wurde er u.a. als Ritter der Französischen Ehrenlegion und mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.

Jörg Hueber ist geschäftsführender Gesellschafter in der PETER MAY-Gruppe und verantwortet den Geschäftsbereich Family Equity Consulting, der sich vorrangig mit der Bereitstellung von Familienkapital durch Family Offices, Stiftungen und familien-geprägte Beteiligungsholdings für Familienunternehmen und Inhaberfamilien befasst. Vor seiner Tätigkeit in der PETER MAY-Gruppe ist Jörg Hueber mehr als 20 Jahre in international führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Investmentbanken tätig gewesen und hat den M&A-Bereich eines börsennotierten Unternehmens verantwortet. Außerdem ist Jörg Hueber Beirat in Familienunternehmen und Sparringspartner für vielzählige Inhaber relevanter Familienunternehmen. Kontakt j.hueber@petermay-fos.com