Eigene Wege gehen

Isabel Wessel, Geschäftsführende Gesellschafterin der PETER MAY Family Office Service, im Gespräch mit Gregor Feichtinger, Mitbegründer des Schweizer Software- und Service-Unternehmens Orca AG, über den Anspruch an eine Unternehmensgründung in Unabhängigkeit der eigenen Zugehörigkeit zu einer erfolgreichen Unternehmerfamilie und den Herausforderungen, den eigenen Erwartungen und Anforderungen gerecht zu werden.

Gregor Feichtinger und Isabel Wessel


Isabel Wessel:
Lieber Gregor, Du hast Dich dazu entschieden, nicht in einem Unternehmen Deiner eigenen Familie zu arbeiten, sondern Dich mit Deinen Geschäftspartnern Tomas Hurcik und Milko Benc selbständig zu machen. Was war Dein Antrieb zur Gründung von Orca?

Gregor Feichtinger: Vor einigen Jahren war ich selbst im Beteiligungsbereich für Family Offices tätig und habe mich vor allem mit der Aufsetzung von Beteiligungsstrukturen auseinandergesetzt. Es war für mich oft sehr schwierig, die Strukturen und Vermögensverhältnisse sowohl einer Familie als auch eines Investitionsvehikels in kurzer Zeit zu verstehen. Wie setzt sich eine Struktur zusammen? Wer sind die Aktionäre? Wo gibt es ausstehendes Fremdkapital und wer hat welche Vertretungsbefugnisse? Anfragen von Seiten des Regulators über den Administrator bis hin zur Bank in Kürze zu beantworten, war eine große Herausforderung, da die Informationen nicht einheitlich in einem System hinterlegt waren. Ich wollte hier einen Mehrwert für andere Familien und Manager von Familienvermögen schaffen, den ich bis dato vermisst habe. Mein Wunsch, unternehmerisch tätig zu sein, etwas aufzubauen und zudem die selbst erlebten Problemstellungen zu lösen, hat mich dazu motiviert, eine Firma zu gründen, die sich auf genau diese Thematik konzentriert.


Isabel Wessel:
Nach der Gründung aus eigenen finanziellen Mitteln habt Ihr das Kapital zum Aufbau über Finanzierungsrunden eingeworben. Damit hast Du Dich bewusst für externes Kapital und gegen eine Finanzierung aus dem eigenen Familienvermögen entschieden. Welche Bedeutung hat es für Dich, unabhängig vom eigenen Familienvermögen zu sein?

Gregor Feichtinger: Die Bedeutung, geschäftsrelevante Entscheidungen selbständig zu treffen und sich nicht mit verschiedenen Parteien innerhalb einer Familie auseinandersetzen zu müssen, hat mich dazu motiviert, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Ich war immer getrieben, meine eigenen Entscheidungen durchzuziehen und so zu agieren, wie ich es am besten empfinde – sowohl für meine Mitarbeiter, meine Kunden als auch für mich. Dies konnte ich am besten in einer eigenen Firma unter Beweis stellen. Zusätzlich war es mir immer ein Anliegen, einen eigenen „Footprint“ aufzubauen und zu hinterlassen – sowohl mit dem bewussten Risiko zu scheitern als auch erfolgreich zu sein und die eigenen Früchte zu ernten.


Isabel Wessel:
Familienunternehmen sind in der überwiegenden Mehrzahl häufig durch die Prägung mehrerer Generationen gekennzeichnet. Familien stehen vor der Herausforderung, die Weitergabe von Führungsverantwortung sowie die Allokation des Vermögens zu organisieren. Welche Beobachtungen hast Du gemacht, wo liegen dabei die größten Herausforderungen für Inhaberfamilien bei der Vermögensorganisation?

Gregor Feichtinger: Die Weitergabe von Inhaberschaft und Führungsverantwortung zwischen den Generationen ist oftmals begleitet durch die wachsende Anzahl von Familienmitgliedern und eine daraus resultierende Verzweigung in einzelne Familienstämme. Die Komplexität jeder Unternehmerfamilie nimmt über die Generationen zu und ist dabei von verschiedenen Kriterien wie beispielsweise der Anzahl der Familienmitglieder, der Internationalisierungstendenz der einzelnen Familienmitglieder sowie der Verteilung der Anteile zwischen den Familienmitgliedern abhängig.


Isabel Wessel:
Darüber hinaus nehmen wir wahr, dass mit zunehmender Anzahl der Familienmitglieder von Generation zu Generation auch die persönlichen Interessen der Familienmitglieder diverser werden. Spätestens wenn einzelne Familienmitglieder sich dazu entscheiden, ihren Anteil am Familienunternehmen innerhalb oder außerhalb der Familie zu verkaufen, gilt es, den Wert des Familienunternehmens zu bestimmen. Dies sind häufig komplexe Prozesse in emotionaler und ebenso in finanzieller, steuerlicher und rechtlicher Hinsicht. Wie können Software-Lösungen Familien bei diesen Prozessen unterstützen?

Gregor Feichtinger: Eine Software-Lösung bietet zwar keinen emotionalen Support, kann aber der Schaffung von Transparenz unterstützen, die bei der Entscheidungsfindung essenziell ist. Bevor strategische Entscheidungen getroffen werden können, gilt es zu verstehen, welche Vermögenswerte vorliegen, welche Unterlagen und Dokumente hierzu vorhanden sind und wer Anteile hält. Wir haben eine Software-Lösung geschaffen, die die Konsolidierung, Organisation und graphische Darstellung von Vermögenswerten und Vermögensstrukturen ermöglicht. Es ist ein zentrales, hochsicheres und intuitives System, um jegliche Stammdaten und Dokumente zu Investitionen und Beteiligungsstrukturen an einem zentralen Ort abzulegen und diese schnell und einfach mit Dritten zu teilen – sowohl innerhalb einer Familie zu Zwecken der Transparenz und Nachfolgeplanung als auch zu externen Zwecken für Compliance, steuer- und rechtliche Anforderungen.


Isabel Wessel:
Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr viele Ideen für die strategische Weiterentwicklung Eures Unternehmens habt. Wie verhindert Ihr eine Pattsituation in der Entscheidungsfindung innerhalb der Geschäftsführung oder wird im Ernstfall eine Münze geworfen?

Gregor Feichtinger: Das haben wir zum Glück professioneller gelöst. Auch in einem Jungunternehmen ist es wichtig vom Beginn an klare Richtlinien und Zuständigkeiten zu definieren. Aktuell liegen rund 60 Prozent der Firmenanteil bei den Gründern, also Tomas Hurcik, Milko Benc und mir, und unseren Mitarbeitern. Die übrigen Anteile werden von externen Investoren gehalten. Jegliche geschäftsrelevanten Entscheidungen werden im Verwaltungsrat getroffen, der aus uns Gründungsmitgliedern und unserem größten externen Investor besteht. Jedes Verwaltungsratsmitglied hat eine Stimme. Im Falle der zuvor angesprochenen Pattsituation hat der Verwaltungsratsvorsitzende einen Stichentscheid.


Isabel Wessel:
Was sind Deine Erfahrungen in den ersten Monaten und Jahren gewesen, was waren die größten Herausforderungen?

Gregor Feichtinger: Man steht vor den Herausforderungen, sich von Null an zu formen und auf einer grünen Wiese zu starten. Dazu gehören sowohl strategische Entscheidungen als auch die Suche und der Aufbau eines komplett neuen Teams. In allen Schritten bestand immer die Angst eines „Versagens“. Einer unserer größten Investoren zu Beginn war ein enger Bekannter der Familie, der uns viel Vertrauen entgegengebracht hat. Die größte Herausforderung für mich persönlich war die Sorge, im Falle des Scheiterns mit den gesellschaftlichen Normen und Ängsten zurechtkommen zu müssen und unsere Investoren zu enttäuschen.


Isabel Wessel:
Für wie wichtig erachtest Du ein schnelles Wachstum und eine schnelle Internationalisierungstendenz für ein Jungunternehmen?

Gregor Feichtinger: Ich vertrete den Standpunkt, dass eine Firma zuerst in ihrem Heimatmarkt Erfolge vorweisen muss und einen Proof of Concept erarbeitet, bevor sie (zu schnell) in neue Märkte vordringt. Viele Jungunternehmer sehen in anderen Märkten wie den USA das schnellere Geld und das größere Potenzial, übernehmen sich aber durch das zu schnelle Wachstum. Wir haben unsere Firma in der Schweiz gegründet und gleichzeitig begonnen die DACH-Region aufzubauen. Dies geschah zum einen, da wir unser Produkt anfänglich an die Komplexitäten des deutschsprachigen Rechtssystems angepasst haben, zum anderen hatten wir in dieser Region die meisten Kontakte und Partner. Speziell im Softwarebereich spielt allerdings die Skalierung eine wichtige Rolle, sodass wir nun auch Märkte außerhalb Europas erschlossen haben.


Isabel Wessel:
Ein Unternehmen ist nur so gut wie seine Mitarbeiter. Ich kann mir aber vorstellen, dass es schwierig ist, hochqualifizierte Fachkräfte aus dem IT-Sektor zu finden, die neben der fachlichen Kompetenz auch die Leidenschaft für das Produkt, den Service und die Unternehmenswerte teilen. Gerade in Zürich steht Orca als junges IT-Unternehmen in großer Konkurrenz zu Arbeitgebern wie Google und Microsoft. Welche Möglichkeiten hat ein Jungunternehmen, sich von großen Konzernen abzuheben und Mitarbeiter zu gewinnen und vor allem auch zu halten?

Gregor Feichtinger: Die genannten Firmen haben eine ganz andere Bereitschaft für Lohnzahlungen und bieten zudem sehr attraktive Gesamtpakete an, die ein Start-up nur schwer erfüllen kann. Ich denke es ist wichtig, den Mitarbeitern eine unternehmerische Komponente zu ermöglichen und jeden Mitarbeiter an der Firma zu beteiligen. Dies verstärkt die Bindung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen. Das macht das heutige Unternehmertum so spannend. Ich bin stolz auf ein Team von 17 hochqualifizierten Mitgliedern mit unterschiedlichen Nationalitäten, die größtenteils aus Zürich arbeiten.


Isabel Wessel:
Was sind Deine Ziele in den nächsten Jahren? Welche Weiterentwicklung wünscht Du Dir für Orca?

Gregor Feichtinger: Wir haben viele Ideen, Orca weiterzuentwickeln. Der Fokus liegt verstärkt auf Artificial Intelligence, um die Abbildung von Vermögensstrukturen und die Zuordnung von relevanten Informationen und Dokumenten zu automatisieren und Prozesse zu optimieren. Darüber hinaus entwickeln wir aktuell eine Funktion, die es unseren Kunden ermöglicht, aus der Software heraus Workflows sicher an externe Dritte zu delegieren, um ausgewählte Informationen zu teilen und updaten zu lassen und somit eine effizientere Pflege des Systems sicherzustellen.


Isabel Wessel:
Das ist eine spannende Weiterentwicklung. Das heißt, Orca entwickelt sich zu einer Plattform, auf der sich Kunden mit Dritten austauschen und Informationen, die bereits transparent aufbereitet vorliegen, teilen können. Ich erkenne natürlich auch einen interessanten Anknüpfungspunkt für unsere tägliche Arbeit. Wir befassen uns täglich mit Fragestellungen zur Übertragung von Anteilen an Familienunternehmen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und können im Zusammenhang mit einem Generationswechsel innerhalb der Familie aber auch mit einem angestrebten (Anteils-)Verkaufsprozess nach außen zusammenhängen. Hierzu ist eine fundierte und unabhängige Einschätzung der Bewertung des Beteiligungsvermögens von Relevanz. Häufig sehen wir, dass Prozesse sich etwas hinziehen, weil relevante Informationen nicht vorliegen oder Schlüsselpersonen aus dem Unternehmen nicht in den Prozess eingebunden werden sollen. Dies könnte man durch den direkten Austausch über eine Plattform erheblich erleichtern.

Gregor Feichtinger: Definitiv. Konsolidierte, strukturierte und einheitliche Informationen sollten die Grundlage jeder Entscheidungsfindung sein.


Isabel Wessel:
Vielen Dank für das spannende Gespräch und alles Gute.