Venture, Tech & Growth Investments – Was sollten wir jetzt tun?

Florian Heinemann ist Gründungspartner bei Project A, einem Frühphaseninvestor für digitale Start-ups mit Sitz in Berlin und London, mit ihm spricht Jörg Hueber, Geschäftsführender Gesellschafter der PETER MAY Family Office Service, über die Relevanz von Venture Investments für Familienunternehmer und Familienunternehmen.

Florian Heinemann und Jörg Hueber

 

Jörg Hueber: Viele Inhaber von Familienunternehmen haben im Rahmen ihrer persönlichen Vermögensdisposition über viele Jahre, bis zur einschneidenden geopolitischen und dann auch gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022, zunehmend in junge Technologieunternehmen investiert. Jahrelang hatte man den Eindruck, man ‚müsste unbedingt dabei sein‘ um wirtschaftliche, finanzielle Chancen nicht zu verpassen. Teilweise erfolgte das Investieren über professionelle Fonds, teilweise über Club Deals mit zwei oder drei anderen Familien, bei denen es allerdings gelegentlich an der technologischen Professionalität der Einordnung der Geschäftsmodelle fehlt und man sich der Expertise der Mitinvestoren anvertraute. Teilweise unterstützen Familienunternehmer als Business Angel junge Gründer, nicht nur aus Selbstlosigkeit, sondern in dem Glauben, dass finanzielle Chancen finanzielle Risiken deutlich übersteigen. Und natürlich auch, um das eigene Innovationspotential zu unterstützen. Wird es angesichts der Entwicklungen seit Frühjahr 2022 eine deutliche Zurückhaltung von Family Equity in diese Anlageklasse geben? Wäre dies sogar eher gesund, da weniger Investitionskapital zu einer stärkeren Fokussierung und Selektion führt? Aber woher kommt die Kompetenz, die eine Fokussierung und Selektion erfordert? Führt dies zu einer wachsenden Institutionalisierung von Wachstumskapital über professionelle Fonds und das individuelle Unternehmertum eines Investoren vermindert? Widerspräche dies nicht dem Unternehmer-Gen der Familienunternehmer?

Florian Heinemann: Aktuell spielen Familienunternehmer im Bereich der Business Angels-Investitionen durchaus eine relevante Rolle. In Bereichen wie Biotechnologie gilt das sicherlich auch sehr stark darüber hinaus (siehe BioNTech). Die meisten digital orientierten Venture Capital- und Growth Capital Fonds beziehen ihre Mittel jedoch größtenteils von institutionellen Investoren. Deutsche Familienunternehmer bzw. assoziierte Family Offices werden hier zwar zunehmend relevanter, sind als LPs in der Gesamtbedeutung jedoch noch klar nachgelagert, insb. bei etablierteren und größeren Fonds-Managern. Daher wäre eine Zurückhaltung von Family Equity aus meiner Sicht eher in den frühen Phasen relevant. Unabhängig davon sind jedoch in unserer Wahrnehmung aktuell aus diversen Gründen auch die institutionellen Investoren zurückhaltender, gerade auch mit ihren Commitments für neuere Fonds.

Jörg Hueber: Bei sehr großen Familienvermögen, häufig organisiert über eigene Family Offices, ist neben der reinen Vermögensallokation unter Renditeaspekten auch das Kriterium von Technologieförderung wichtiger Gegenstand der Investitionsentscheidung. Mitunter ist die Ausreichung von Wachstumskapital mit der Erwartung und auch Auflage verbunden, das entsprechende Unternehmen, Intelligenz, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten und eine Verlagerung der Gründungsphase etwa in die USA zu begrenzen oder erst einmal auszuschließen. Allerdings benötigt Technologie auch Globalisierung, teilweise steht sie dafür. Investoren aus den USA, China, dem Nahen Osten bleiben wichtig, die Absatzmärkte sind es auch.

Florian Heinemann: Zunächst sollte aus meiner Sicht der Standort eines Unternehmens immer so gewählt werden, dass er den Zweck des Unternehmens möglichst optimal unterstützt. Forderungen von Investoren, die dabei nicht primär das Interesse des Unternehmens im Blick haben, kann ich zum Teil zwar emotional nachvollziehen, sind aber sicherlich nicht im Sinne des letztendlichen Unternehmenserfolgs. Nichtsdestotrotz ist es natürlich schon so, dass die Herkunft des Kapitals Einfluss auf die Standortwahl nimmt. Und es muss ja so oder so unser Ziel sein, dass Unternehmer und Investoren bei rationaler Betrachtung zum Schluss kommen, dass Deutschland und/oder Europa die bestmöglichen Standorte für eine möglichst große Gruppe von Unternehmen sind. In der Praxis lässt sich bei vielen Digitalunternehmen aktuell beobachten, dass auch bei einer stärkeren Orientierung in Richtung USA bspw. der Entwicklungsbereich und eine Reihe von Zentralfunktionen weiterhin in Deutschland bzw. Europa verbleiben, da das „Preis-Leistungsverhältnis” hier attraktiver erscheint und es mittlerweile auch gelingt, globale Top-Talente von europäischen Standorten zu überzeugen. Und solange es gelingt, Unternehmen mit diesem wahrgenommenen Potenzial in Deutschland bzw. Europa als Startpunkt zu entwickeln, wird es m.E. auch keine Probleme geben, internationale Investoren von Investments hierzulande zu überzeugen.

Jörg Hueber: Die Bewertungen einzelner Technologiesegmente haben sich deutlich reduziert. Beispiele aus den Bereichen Fintech, Lieferdiensten sind allen bekannt. Wird sich Anfang 2023 eine Abwertungsspirale allein deswegen fortsetzen, weil Investoren vor Jahresabschluss 2022 keine Verluste zahlungswirksam realisieren wollen? Oder ist das rein buchhalterische Argument ein vorgeschobenes, da es gleichzeitig zu einer Stabilisierung führt, Investments zu halten? Oder ist diese rein buchhalterische Argumentation völlig irrelevant?

Florian Heinemann: Im Venture Capital ist es ja - aus Ermangelung eines klar überlegenen Ansatzes - üblich, dass Investoren Investments auf Basis der letzten Finanzierungsrunde bewerten. Aufgrund der zahlreichen internen Runden, die aktuell häufig über Wandeldarlehen durchgeführt werden und die somit häufig keine neue Bewertungsbasis bilden, stehen in der Tat noch eine Reihe von Unternehmen zu im aktuellen Kontext überhöhten Bewertungen in den Reportings. Und der Zustand der Überbewertung lässt sich nur eine gewisse Zeit aufrechterhalten, da die meisten Start-up-Unternehmen auch in 2023 noch nicht profitabel sein werden und somit irgendwann neues Geld im Rahmen einer „richtigen“ Runde/Kapitalerhöhung benötigen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies dann zu geringeren Bewertungen als vorher erfolgt, ist natürlich schon stark gestiegen. Allerdings lässt sich dies zum Teil auch über höhere Liquidationspräferenzen abfangen, die zwar oberflächlich noch eine Steigerung der Bewertung zulassen, aber deutlich stärker nach unten abgesichert sind.

Jörg Hueber: Bei Private-Equity-Gesellschaften, die in etabliertere Unternehmen investiert sind, beobachten wir das ‚Phänomen‘ der sogenannten ‚Continuation Fonds‘, ursprünglich in der Absicht geboren, einzelne Beteiligungen aus einem Fonds über die Fondslaufzeit länger zu halten und als Plattform für weitere Zukäufe zu stärken, in dem diese von Fonds A in Fonds B oder separaten Vehikel intern weiterverkauft werden, häufig verbunden mit neuem Liquiditätsbedarf. Aktuell kann man in Einzelfällen den Eindruck gewinnen, manche ‚Continuation Fonds‘ dienen eher ‚Notlösung‘ und ‚Parkplatz‘ unveräußerbarer Beteiligungen. Erleben wir dies auch in Technologiefonds? Der Liquiditätsbedarf bei jüngeren Technologieunternehmen ist enorm, das ‚interne Weiterreichen‘ eine Lösungsvariante. Aber verdeckt dieses Hin-und-Her-Geschiebe in der Hoffnung von ‚fresh money‘ nicht die notwendige Ausselektion wenig-erfolgreicher Geschäftsmodelle?

Florian Heinemann: Generell empfinde ich Continuation Funds per se nicht als etwas Negatives, solange der Ausgestaltung fair strukturiert ist, also insbesondere Bestandsinvestoren die Möglichkeit zum Ausstieg gewährt wird bzw. hier ein Wahlrecht besteht. Denn generell ist ja die Reduzierung des Ausmaßes an Illiquidität in der Asset Klasse Private Equity ja etwas Positives. Daher begrüße ich es auch, dass dieser Ansatz auch zunehmend im Venture-Capital-Bereich Anwendung findet, wo ja in der Regel noch deutlich längeren Laufzeiten der Fonds (teilweise 12-15 Jahre im Frühphasen-Bereich) zu finden sind. Denn die Flexibilisierung von Laufzeiten bzw. Verweildauern von Fonds ist ja ein wesentlicher Hebel, um die Assetklasse attraktiver zu machen. Und im Vergleich zu regulären Secondaries bieten ja gerade strukturierte Lösungen, wie sie bei Continuation Funds aktuell häufig Anwendung finden (mit hohen Discounts, aber der Möglichkeit zu späteren, Performance-abhängigen Catch-Ups) die Möglichkeit, die aktuelle Unsicherheit über das faire Bewertungsniveau ein Stück weit abzufedern. Insofern würde ich diesen Ansatz, wenn er richtig, fair und transparent gestaltet, ist auf gar keinen Fall als negativ beurteilen. Zudem ist das wesentliche Argument für Continuation Fonds ja weniger die Unverkäuflichkeit von Assets, sondern -, gerade im Technologiebereich - das zum Ende einer Fonds-Laufzeit noch bestehende Potenzial dieser Assets. Zumindest sollte dies der wesentliche Treiber sein. 

Jörg Hueber: Wir haben nun Family Equity Investoren und institutionelle Investoren thematisiert, in deren Fonds viele Unternehmerfamilien investiert sind. Betrachten wir nun die Familienunternehmen selbst. Diese sind in den meisten Fällen seit Jahren zur Sicherung ihrer Innovations- und damit Wettbewerbsfähigkeit angehalten, ihre Geschäftsmodelle effizienter zu machen, zu technologisieren, zu digitalisieren. Die wirtschaftlich starken Jahre haben zudem zu einer hohen Kapitalallokation geführt. Das Gründen eigener Corporate Venture Aktivitäten ist seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts eine häufig beobachtete Maßnahme und wo es hinsichtlich kritischer Größe oder Notwendigkeiten von Netzwerken sinnvoll ist, über gemeinsame Institutionen (Beteiligungen an Gründerfonds etc.) organisiert. Wie beobachtest Du diese Entwicklung? Ab welcher Größenordnung (unter welche Maßordnung, welchen Kriterien) kann es sinnvoll sein, dass Familienunternehmen (in Abhängigkeit ihres Geschäftsmodells) eigene Venture- oder Digitalkompetenzen in die Organisationsstruktur aufnehmen?

Florian Heinemann: Eigene Venture-Capital-Aktivitäten können für Familienunternehmen durchaus interessant sein – finanziell und auch inhaltlich. Man sollte sich allerdings der Mindestgröße der hier erforderlichen Investitionsbeträge durchaus bewusst sein. Häufig wird unterschätzt, wie viel Geld eigentlich investiert werden muss, um auch kostenseitig ein professionelles Set-up zu rechtfertigen. Da reden wir schnell von dreistelligen Millionen Beträgen, die über einen gewissen Zeitraum aufgebracht werden müssen, um bei einer implizit angenommen Management Fee von 2 % professionell agieren zu können. Ein unterkritisch großes Set-Up verringert natürlich deutlich die Wahrscheinlichkeit, Performance-seitig im Top-Quartil vergleichbarer Fonds zu landen. Und das Top-Quartil muss ja das Ziel sein, um eine Rendite zu erwirtschaften, die langen Haltedauern rechtfertigen.

Daher sollten vermutlich deutlich mehr Unternehmen in wie auch immer gearteten Partnerschaften mit anderen Firmen solche Aktivitäten vorantreiben. Das verringert gleichzeitig auch noch das Risiko, zu stark als rein strategisch agierender Investor wahrgenommen zu werden. 

Jede Firma sollte sich letztendlich fragen, ob ihr angestrebtes/angedachtes Set-up wirklich in der Lage ist, eine top Quartil Performance zu rechtfertigen. Und sie sollte sich auch fragen, ob man wirklich bereit ist, einen gewählten Ansatz für 10-20 Jahre zu verfolgen. Denn diese zeitliche Perspektive ist erforderlich, damit man sinnvoll im Venture Bereich agieren möchte. 

Jörg Hueber: Lieber Florian, Du bist Gründer, Investor, Fondsmanager und Ratgeber als auch Verwaltungs- und Beirat relevanter Familienunternehmen. In welcher dieser Rollen siehst Du für Dich in den kommenden Monaten den größten Arbeits- und Zeitaufwand? Er wird in allen Bereichen sehr hoch sein, aber die Sphären sind unterschiedlich. Beim Investieren wirst Du mit eigenem Investitionskapital einen langen Atem zeigen, beim Fondsmanagement geht es um kurzfristige Fokussierung und Selektion in Verantwortung für Investorenvermögen, bei Einzelunternehmen um spezifische Einzeltrends.

Florian Heinemann: Mein zeitlicher Arbeitsschwerpunkt ist und bleibt der des Investors. Gerade in unsicheren Zeiten wie jetzt ist es natürlich erforderlich, als Sparringspartner für die Portfolio Unternehmen, in die wir investiert haben, zur Verfügung zu stehen. Hier gilt es kurzfristig, das Überleben zu sichern, aber gleichzeitig Investitionen in zukünftig erforderliche Fähigkeiten nicht aus dem Auge zu verlieren. Für viele Familienunternehmen bieten sich, gerade wenn sie nicht akut gefährdet sind, aktuell viele Chancen im digitalen Bereich. Hier gilt es mutig zu sein und für die “Zeit nach der Krise” zu planen.

 

Über die Gesprächspartner

Florian Heinemann ist Gründungspartner bei Project A, einem Frühphaseninvestor für digitale Start-ups mit Sitz in Berlin und London. Zudem sitzt er im Aufsichtsrat von Körber, im Verwaltungsrat von Fressnapf sowie in den Digitalbeiräten von Henkel und Oetker.

Jörg Hueber ist Geschäftsführender Gesellschafter der PETER MAY Family Office Service GmbH & Co.KG und befasst sich mit der Übertragung von Anteilen an Familienunternehmen innerhalb der Familie, zu Abfindungsregelungen für Gesellschafter bei Kündigung ihrer Gesellschafterrolle, zu Fragestellungen der Öffnung des Gesellschafterkreises sowie mit Beratungsleistungen des Kaufs und Verkaufs von Unternehmensbeteiligungen für Familienunternehmen, Inhaberfamilien und Family Offices. Vor seiner Tätigkeit in der PETER MAY Gruppe ist Jörg Hueber mehr als 20 Jahre in international führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Investmentbanken tätig gewesen und hat den M&A-Bereich eines börsennotierten Unternehmens verantwortet.