Unternehmensverkauf – ein zu Unrecht tabuisierter und kolossal unterschätzter Prozess

Einen möglichen Verkaufsprozess im Rahmen einer Strategiediskussion im Gesellschafterkreis ergebnisoffen zu diskutieren, kann für alle Beteiligten erleichternd sein und muss nicht zwangsläufig zum Verkauf führen. Wenn aber doch, ist eine gute Vorbereitung alles. Von Dr. Matthias Händle

Matthias Händle

 

In den letzten zwanzig Jahren war ich in einer Vielzahl von Verkaufsprozessen involviert. Je nach persönlicher Perspektive – verkaufender Unternehmer, Beteiligter seit Generationen oder Startup-Unternehmer, der nach sieben Jahren aussteigt – waren die Erfahrungen sehr unterschiedlich.

Eines aber war allen gemeinsam: Der zeitliche und emotionale Aufwand wurde jedes Mal kolossal unterschätzt. Man könnte meinen, dass nur bei großen und vielleicht internationalen Unternehmen der Aufwand groß sei. Nein, es handelt sich in jedem Fall um eine höchst komplexe Transaktion.

Als ich 1990 den ersten Kurs an der Bundeswehruniversität in München zum Thema M&A (Merger and Acquisition) belegte, ging es in weiten Teilen um die Berechnung des Kaufpreises über Verfahren wie DCF (Discounted Cash Flow) und Fragen nach Substanzwert und Ertragswert. Schon damals wurde hervorgehoben, dass ein großer Anteil von Unternehmenskäufen für den Erwerber im Nachhinein eher kritisch zu beurteilen ist. Es verwundert daher nicht, dass heute in der Regel eine ganze Schar von Experten involviert wird, um das Risiko einer Fehlentscheidung möglichst zu minimieren.

Nun könnte ich über die Aspekte oder Teile einer Due Diligence, die Erstellung von Fact Books und Managementpräsentationen berichten oder darüber, welche Berater in welcher Zeitschiene hinzugezogen werden sollten. Stattdessen möchte ich das Augenmerk auf den vorgelagerten Zeitraum richten.

Das Maß der persönlichen Bindung macht im Verkaufsprozess einen enormen Unterschied: Hat man das Unternehmen selbst auf- oder ausgebaut, war man nur kurz Gesellschafter oder hat man eine große Distanz zum Unternehmen?

Die Fälle, die ich in den letzten Jahren und Jahrzehnten begleiten durfte – nicht zuletzt auch der Verkauf unseres eigenen Familienunternehmens –, haben gezeigt, dass es sich nicht um ein rein finanzmathematisches Thema handelt, sondern es in hohem Maß emotional zugeht. Es geht um weit mehr als nur den höchsten Kaufpreis. Hier fängt in Familien das Problem nicht selten an: Was ist für mich wichtig? Der Käufer, die Fortführungsstrategie oder nur der Kaufpreis?

Warum kommt es überhaupt zum Verkauf eines Familienunternehmens? Es gibt verschiedenste Anlässe, die meisten stellen einen gewissen Tiefpunkt in der Unternehmensbiografie dar:

  • Schieflage oder vielleicht sogar drohende Insolvenz zwingen die Gesellschafter zum Handeln.
  • Krankheit oder Tod eines Leistungsträgers, nicht selten des Geschäftsführenden Gesellschafters.
  • Das Fehlen eines geeigneten Nachfolgers
  • Unüberbrückbarer Streit im Gesellschafterkreis
  • Strategische Gründe

Die Gründe sind individuell und vielschichtig. Besonders bei alten Familienunternehmen geht es in den seltensten Fällen um das „Kasse machen“, auch wenn die Öffentlichkeit das fast immer als treibenden Faktor darstellt.

Man hat oft den Eindruck, dass ein Verkauf plötzlich, geradezu unerwartet kommt. Dies ist in den wenigsten Fällen richtig. Wenn doch, dann muss man den handelnden Personen schon einen gewissen Vorwurf machen. Denn die Aufgabe der Inhaber ist es nicht nur, sich mit der Strategie und deren Umsetzung zu beschäftigen, sondern auch die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, sei es personeller oder finanzieller Art.

Entsprechend sollte ein Gesellschafterkreis genügend Zeit haben, im Vorfeld eines Verkaufs mögliche Alternativen zu diskutieren bzw. zu erarbeiten. Allerdings gibt es in vielen Unternehmerfamilien große Vorbehalte, das hoch emotionale Thema überhaupt anzugehen: „Da kann ich mit meinem Vater / meiner Mutter nicht darüber sprechen“ oder „Da ist mein Onkel in jedem Fall dagegen“ oder „Großvater würde sich im Grabe umdrehen“, hören wir häufig in unserer Beratungspraxis.

Und in der Tat war in fast allen Prozessen, an denen ich mitwirken durfte, die erste Phase von großer Unsicherheit geprägt, sehr schmerzlich und emotional aufrührend. Es kommt nicht selten zu erheblichen Belastungen der persönlichen Beziehungen. Umso besser und befreiender ist es aber, wenn man einen gemeinsamen Lösungsweg gefunden hat. Dieser gemeinsame Findungsprozess dauert länger und hat viele Windungen, ist aber notwendig, um alle Beteiligten auf den anstehenden Verkaufsprozess vorzubereiten.

Es entstehen z. B. bisweilen auch Zukunftsängste, wenn einzelne Gesellschafter nach einem Verkauf plötzlich gefühlt alleine dastehen und selbst vollumfängliche Verantwortung für das eigene Vermögen übernehmen müssen. Freiheit ist schön, aber nicht selten sind, zumindest einige, Gesellschafter mit dieser neuen Situation überfordert. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt Lösungsansätze zu besprechen, hilft, die Situation zu entspannen.

Ein Verkaufsprozess haben die wenigsten Gesellschafter erlebt, und schon gar nicht für das eigene Unternehmen. Idealerweise durchdenkt man diesen Prozess ergebnisoffen gemeinsam mit einem Profi. „Ergebnisoffen“ ist hierbei zentral. Ich bin davon überzeugt, dass das Abwägen des Für und Wider eines Unternehmensverkaufs eine ganz normale strategische Überlegung in Inhaberfamilien sein sollte.

Man muss sich vor Augen führen, dass ein möglicher Verkaufsprozess letztlich nichts anderes als Teil einer Inhaberstrategie ist. Gesellschafter müssen sich fragen: „Ich habe einen Teil meines Vermögens in der Assetklasse Familienunternehmen. Passt dieser Anteil im Verhältnis zum Gesamtvermögen? Wie ist das Risikoprofil? Wie gut/schlecht funktioniert die Zusammenarbeit mit den Miteigentümern? Wie steht es um die Fungibilität meines Anteils? Glaube ich in dem Setup an eine gute Zukunft?“ Heute kommen auch Aspekte wie Carbon Footprint oder öffentliche Wahrnehmung dazu. Last but not least, passt das Unternehmen bei all der zu Recht empfundenen Verantwortung zu meiner Lebensplanung?

Wenn man im Gesellschafterkreis offen über mögliche Optionen diskutiert, kann eine nicht selten gefühlte Ohnmacht beseitigt werden. Oft steht über Jahre das Gespenst des Verkaufs im Raum, ohne dass jemals alle Optionen sachlich diskutiert wurden.

Wir bei PETER MAY sind davon überzeugt, dass Familienunternehmen der Garant der Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft sind. Wir sehen aber auch, dass dieser außergewöhnliche Erfolg oft nicht nur auf dem Rücken des Unternehmers, sondern auch auf dem Rücken der Unternehmerfamilie erwirtschaftet wird. Das anzuerkennen und zu benennen, hilft bereits viel. Eine bewusst tragfähige Strategie erarbeitet zu haben, sei geradezu eine Befreiung – so die Rückmeldung vieler Familien, mit denen wir gearbeitet haben. Einen Verkauf zu diskutieren, bedeutet nicht, einen Verkauf auch zu planen. Vielmehr geht es darum, auf die erkennbaren Eventualitäten besser vorbereitet zu sein.

Wie eingangs gesagt, ist ein Verkaufsprozess hochkomplex. Diese Komplexität unter Zeitdruck zu managen, führt nicht zu den besten Ergebnissen. Es gilt auch zu bedenken, dass man in der Regel keine Spezialabteilung für M&A hat, die unterstützen kann. Auch möchte man den Umstand, dass man sich mit einem möglichen Verkauf beschäftigt, weder im Unternehmen noch in der Öffentlichkeit diskutieren. Daher ist man auf externe Experten angewiesen.

Und dann spielt natürlich auch die Höhe des zu erwartenden Verkaufserlöses eine nicht unwichtige Rolle. Oft wird der Wunsch zum Verkauf von einer Partei in den Gesellschafterkreis hineingetragen, in vielen Fällen leider mit Vorstellungen, die nur bedingt etwas mit der Realität zu tun haben. Berater und Banken haben nicht selten schon einmal mögliche verlockende Kaufpreise genannt – natürlich nur ganz ungefähr und ohne Gewähr. Mancher sieht sich da schon in der Südsee. Viele vergessen, dass Investmentbanken – ähnlich wie Makler am Immobilienmarkt – häufig mehr versprechen, als der Markt am Ende halten kann.

Wir empfehlen in regelmäßigen Abständen, einmal darüber nachzudenken, ob die heutigen Gesellschafter noch – wie wir sagen – „best owner“ sind. Kommt man zu der Überzeugung, dass man sich aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der Nachfolgesituation oder auch anderer Gründe nicht mehr stark genug fühlt, sollte man sich strukturiert mit allen Optionen auseinandersetzen.

Nicht selten wurden Familienunternehmen aus den oben besagten Gründen verkauft und mit dem erzielten Erlös wieder andere erfolgreich gegründet. Ich denke, dann haben alle alles richtig gemacht.

 

Dr. Matthias Händle stammt selbst aus einer Unternehmerfamilie und führte das schwiegerelterliche Unternehmen HR Group (Schuhhandel) viele Jahre als Geschäftsführender Gesellschafter und Vorsitzender der Geschäftsführung. Heute ist er in mehreren großen Familienunternehmen Beiratsvorsitzender bzw. Beiratsmitglied. Außerdem ist er persönlicher Berater von Unternehmern und Gesellschaftern bei unterschiedlichsten Themenstellungen.