Das Spannungsfeld zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung

In der Festschrift zu Peter Mays 60. Geburtstag „Familienunternehmen gestern - heute - morgen“ berichtet Dr. Matthias Händle über seine eigene unternehmerische Erfahrung zur Spannung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung.

Matthias Händle

 

Nach meinem Studium hatte ich die Gelegenheit, ins schwiegerelterliche Handelsunternehmen einzutreten; dies nicht ohne den nötigen Respekt, da das Unternehmen bereits in der dritten Generation mit zwei Stämmen geführt wurde. Ursprünglich hatte ich zwar geplant, nur einige Jahre bei meinem Schwiegervater, einem brillanten Verkäufer, »in die Lehre« zu gehen – aber auch mit den anderen im Unternehmen tätigen Familienmitgliedern entstand zunehmend eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Somit bot man mir im Zuge des Generationswechsels den Vorsitz der Geschäftsführung an.

Mit dem Tod des Bruders meines Schwiegervaters und der Weitergabe seiner Anteile an nicht in der Geschäftsleitung aktive Familienmitglieder ging das Vertrauen zwischen den Stämmen verloren. Dies führte in der Konsequenz zum Verkauf. Wie immer beim Verlust von Zusammenhalt und Vertrauen innerhalb einer Familie gibt es nicht nur einen Grund. Eine kritische, sicher auch selbstkritische Analyse aller Gründe findet in der entscheidenden Phase regelmäßig nicht statt. Sie kann leider oft erst im Nachhinein stattfinden.

Die Führung eines Unternehmens durch die Jahrzehnte erscheint für viele Familiengeschäftsführer vordergründig oft gar nicht so eine Herausforderung zu sein. In Wahrheit ist aber eine Vielzahl von Themen ständig – und ich meine hier wirklich ständig – parallel zu meistern. Ob nun der Aufgabenschwerpunkt im Vertrieb, Einkauf, in der Produktion oder der Verwaltung liegt: Es kommt die zusätzliche Dimension »Familie« hinzu. Diese möchte auf dem Lebensweg des Unternehmens permanent mitgenommen werden.

Die heutige Geschwindigkeit der Marktveränderungen zwingt zu einer unablässigen Überprüfung des Geschäftsmodells. Der oft beschriebene Lebenszyklus kann sogar dazu führen, bestehende Strukturen und Geschäftsfelder radikal umzubauen. Das Erkennen von zunächst gefühlt schleichenden Veränderungen ei- nerseits und die Herbeiführung der sich daraus notwendigerweise ergebenden konsequenten Entscheidungen andererseits sind die ureigenen Aufgaben der Unternehmensleitung. Nun wird sich kaum jemand davon freisprechen können, dass er oder sie Veränderungen immer auch als eine gewisse Gefahr oder mit einem gewissen Unwohlsein begreift. Dennoch ist man sich sicher, dass »etwas geschehen muss«.

Hier kommt nun das sensible Zusammenspiel zwischen Geschäftsleitung und Gesellschafter bei jedem Unternehmen, aber in besonderer Weise bei Familienunternehmen, ins Spiel.

Der Macher oder die Macherin in der ersten Generation nimmt vielleicht freiwillig den gut gemeinten Rat vom Partner oder von engen Mitarbeitern an. In späteren Generationen mit verzweigten Gesellschafterstrukturen wird die Sache bereits komplizierter: Kann unterstellt werden, dass man über die Veränderungen ergebnisoffen, sachlich und mit ausreichender Kompetenz diskutiert? In Aufsichtsgremien von Publikumsgesellschaften ist dies schon schwierig, aber die zusätzliche emotionale Herausforderung – sicher auch Chance der Familiengesellschaft – ist ungleich komplexer.

Hier möchte ich kurz aus persönlichen Erfahrungen berichten. Wenn sich in der Führung das Gefühl entwickelt, dass jede Sitzung zu einer politischen Veranstaltung verkommt, es am Ende also wesentlich darauf ankommt, wann man welches Thema präsentiert und zusätzliche Nebenkriegsschauplätze einbaut, um genug »Ablehnungsmasse« zu erzeugen, spätestens dann ist die Zeit gekommen, sich grundlegend mit der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu beschäftigen. Sitzungen wie die zuvor beschriebenen sind nicht geeignet, ein Unternehmen auf Dauer durch die Herausforderungen der heutigen Zeit zu führen. Die nicht zu unterschätzenden persönlichen Frustrationen und Demütigungen aller Beteiligten seien hier nur am Rande erwähnt.

Leider allzu häufig greift eine Geschäftsleitung in einer solchen Phase bewusst oder auch unbewusst zu einer (oder einer Kombination) der folgenden Strategien:

Variante 1: »Wir erzählen nichts« – oder nichts von wirklichem Belang – und
»machen einfach unser Ding«. Ob dies vom Gesellschaftsvertrag gedeckt wird oder nicht, spielt dabei häufig keine Rolle.

Variante 2: »Wir verpacken alles in so vielen Details, dass die Gesellschafter den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen!« Hundert Seiten Informationen in der Unterlage einer Beiratssitzung, die für zwei Stunden angesetzt ist, sollten im Hinblick auf die Intention zumindest hinterfragt werden. Nicht nur die Geschäftsführung verliert sich in Details, sondern ich habe beobachtet, dass auch die Gesellschafter die Tendenz haben, von dem eigentlichen Thema weg und hin zu Spezialthemen zu springen. Im Ergebnis ist das für alle unbefriedigend, da man so zu keinen das Unternehmen weiterbringenden Entscheidungen kommt. Wichtiges wird immer wieder vertagt – mit der Begründung, dass man noch nicht genügend Zeit gehabt habe, die Themen gebührend zu behandeln.

Variante 3: Die schlechteste aller Optionen ist folgende Einstellung: »Mit den Gesellschaftern können wir die notwendigen Veränderungen sowieso nicht hinbekommen, daher verwalten wir uns einfach bis zum Ende!« Eine Taktik, die gegebenenfalls auch zur persönlichen Lebensplanung im Einzelfall passt. In einem solchen Szenario sind vielleicht sogar alle ganz zufrieden, aber das Unternehmen, um das es eigentlich geht, wird in jedem Fall seine Zukunft verspielen.

Sicher gibt es noch weitere Ansätze, aber eines wird bereits an dieser Stelle klar: Hier muss etwas Gravierendes passieren. Was wären nun realitätsnahe Alternativen? Austausch der Geschäftsführung etwa? Oder Konsensbildung auf Gesellschafterseite erzielen? Es ist einigermaßen unrealistisch, dass die Geschäftsführung in einem solchen Fall von sich aus aktiv wird. Besonders dann nicht, wenn sie sich erheblicher Kritik ausgesetzt sieht. Sich selbst zu eliminieren kann betriebswirtschaftlich richtig sein – aber freiwillig und gegen die eigene Überzeugung erscheint dieser Ansatz eher unrealistisch.

Bevor die Banken sich in einer so verfahrenen Situation zu Wort melden, sollten (nein: müssen) die Gesellschafter die Initiative ergreifen.

Die Gesellschafter haben bekanntlich die originäre Pflicht, zum Wohle des Unternehmens aktiv zu werden. Sie müssen Rahmenbedingungen stets so schaffen, dass eine Unternehmensleitung funktioniert. Glauben sie nicht an die bestehende Führung, dann muss auch konsequent eine neue Leitung eingesetzt werden. Das gilt auch, wenn daraus persönliche Probleme zwischen den Gesellschaftern entstehen. Die Verantwortung für das Handeln sowie das Nichthandeln liegt also allein bei den Gesellschaftern.

Ich möchte es einmal anders, drastischer formulieren: Familiengesellschafter hängen in aller Regel an ihrem Unternehmen, und ich bin auch davon überzeugt, dass eine funktionierende Gesellschafterfamilie aus einer Vielzahl von Gründen die beste Lösung darstellt. Wird allerdings erkannt, dass keine tragfähige Basis zwischen Geschäftsführung und Gesellschafterebene gefunden werden kann, spätestens dann sollte man sich, auch wenn das Unternehmen gut läuft, mit einem Verkauf beschäftigen. Motto: Je früher desto besser! Die Marktherausforderungen werden bei dieser Lage langfristig nicht gemeistert werden, und dann verlieren schlimmstenfalls alle: Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und natürlich auch die Gesellschafter. Dies kann ich aus eigener Erfahrung leider nur bestätigen.

Gerade in unserer Zeit, in der Venture-Capital-Gesellschafter intensiv nach Übernahmekandidaten Ausschau halten, sollte dieser Prozess allerdings auch nicht leichtfertig (im Sinne von vorschnell) eingeleitet werden – und wenn, dann sollten sich alle auch über die Konsequenzen im Klaren sein. Im Übrigen: Die Unternehmenswerte, die einem »zugerufen« werden, haben oftmals nicht viel mit dem am Ende realisierten Betrag zu tun – und ich meine hier nicht nur den Wert nach Steuern.

Noch ein letzter Hinweis: Wenn man einen Verkaufsprozess einmal eingeleitet hat, wird es schwer, wieder auszusteigen. Zu groß sind die Interessen von Seiten der Banken, einiger Mitarbeiter und so weiter, diesen auch zum Abschluss zu bringen, wobei die Wünsche der Verkäufer ab einem bestimmten Punkt nur noch von untergeordneter Rolle sind.

Im Ergebnis komme ich daher zu der Überzeugung, dass viele Familien- geschäftsführer und Familiengesellschafter zwar viel Energie und Engagement entwickeln, das Unternehmen zu führen, dann aber doch allzu oft leider die perönliche Ebene vernachlässigen. Dieser Fehler – und ich sehe dies als einen Fehler an – kann, wie in unserem Fall, zum Ausscheiden aller aus dem Unternehmen führen. Ich möchte mit einem oft von meinem Schwiegervater zitierten Spruch enden: »Friede nährt – Unfriede zerstört.«

 

veröffentlicht in: Familienunternehmen gestern - heute - morgen. Festschrift für Peter May, herausgegeben von Karin Ebel, Karin May, Sabine Rau und Reinhard Zinkann (Hrsg.) | 2018 | Murmann Verlag