Die digitale Revolution ist in vollem Gange. Immer öfter werden bewährte industrielle Geschäftsmodelle durch digitale ersetzt. Zwar unterscheidet sich diese Entwicklung je nach Branche bzw. Bereich in Bezug auf Geschwindigkeit und Tiefe. Die Tendenz ist jedoch übergreifend eindeutig: Wo digitale Entmaterialisierung bestehende Angebote schneller, preiswerter und attraktiver macht, verlieren traditionelle Geschäfte an Wettbewerbsfähigkeit. Dabei ähnelt die umwälzende Kraft der digitalen Revolution derjenigen der industriellen Revolution vor 250 Jahren. So wie damals Manufakturen durch Fabriken ersetzt wurden, werden jetzt Fabriken durch datengetriebene Unternehmungen ersetzt.
Für unsere Familienunternehmen, den ebenso erfolgreichen wie systemrelevanten German Mittelstand, ist das zunächst keine gute Nachricht. Denn Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat ist das industrielle Familienunternehmen und genau dieser Typus ist durch die digitale Revolution am stärksten gefährdet. Für unsere Familienunternehmen wird es deshalb entscheidend darauf ankommen, ob und wie schnell es ihnen gelingt, sich an die neuen Gesetzmäßigkeiten anzupassen und von analog auf digital umzuschalten. Wer das nicht hinbekommt, wird aus dem kapitalistischen Wettbewerb ausscheiden müssen.
In unseren Gesprächen mit Deutschlands Familienunternehmen stoßen wir immer wieder auf eine Mental-Barriere. Viele Familienunternehmer sind so sehr durch die Logiken und Narrative des industriellen Zeitalters geprägt, dass sie sich schlichtweg weigern anzuerkennen, dass die Digitalisierung nicht nur eine neue Art des Wirtschaftens, sondern auch neue wirtschaftliche Logiken hervorbringt. Mit den Logiken der industriellen Ökonomie aber lässt sich die neue Digitalökonomie nur unzureichend verstehen, geschweige denn gestalten.
Die Logiken der Digitalökonomie
Einige dieser Logiken und ihre Bedeutung für die Familienunternehmen möchten wir Ihnen nachfolgend kurz vorstellen.
Lebenszyklen werden kürzer
Jedes Geschäftsmodell ist endlich. Der von Joseph Schumpeter so trefflich beschriebene Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ hält das ökonomische Schwungrad in Gang und ersetzt eben noch erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle durch neue und bessere. Die Digitalisierung verkürzt die Lebenszyklen von Geschäftsmodellen im Vergleich zum Industriezeitalter beträchtlich, weil die Geschwindigkeit der Informationsverbreitung steigt, Informationen beweglicher sind als Materie und die Verfügbarkeit von Kapital kein begrenzender Faktor mehr ist. So könnte der für das Industriezeitalter gültige Durchschnittslebenszyklus „Ein Geschäftsmodell, drei Generationen“, schon bald durch einen digitalen abgelöst werden: „Eine Generation, drei Geschäftsmodelle“. Diese Entwicklung ist an zahlreichen Indikatoren ablesbar. Besonders plastisch wird dies bspw. an den durchschnittlichen Verweildauern von Unternehmen im S&P500 Aktienindex, der von mehreren Jahrzehnten auf mittlerweile unter zehn Jahre gefallen ist und weiter sinkt.
Um im Digitalzeitalter bestehen zu können, müssen Familienunternehmen sich deshalb aktiv mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie stark ihr bestehendes Geschäftsmodell gefährdet ist und in welchem Umfang sie die durch das traditionelle Geschäftsmodell generierten Finanzmittel nicht mehr nahezu ausschließlich in dieses reinvestieren, sondern in neue digitale Geschäftsmodelle umleiten.
Size does matter und die Relevanz von Netzwerkeffekten
Es zeigt sich immer deutlicher, dass Größe im digitalen Wettbewerbsumfeld eine noch größere Bedeutung hat als im Industriezeitalter und dass für viele digitale Märkte eine ausgeprägte „Critical Mass“ bzw. häufig sogar eine „The winner takes it all“-Logik gilt. Die bei vielen Familienunternehmen so kennzeichnende ausgeprägte Margenträchtigkeit in der Nische ist immer weniger gegeben.
Ein wesentlicher Treiber hinter dieser Entwicklung ist die bei digitalen Wettschöpfungsketten deutlich ausgeprägtere Relevanz von Netzwerkeffekten. Deren Existenz ermöglicht zunächst schnelleres Wachstum, zu einem späteren Zeitpunkt höhere Profitabilität und erzeugt zudem einen nur schwer zu durchbrechenden Verteidigungsring. Die zur Erreichung einer solchen Position notwendige Kapitalkraft überfordert häufig die finanziellen Möglichkeiten einzelner Unternehmen. Für Familienunternehmen mit den aus ihrer Unabhängigkeitslogik erwachsenden finanziellen Restriktionen gilt dies in besonderem Maße.
Als Antwort auf diese Herausforderung werden Familienunternehmen zukünftig stärker in Partnerschaftslogiken denken und versuchen müssen, ihre unternehmerischen Ziele gemeinsam mit anderen Familien oder Investoren zu erreichen.
Digitale Unternehmen werden anders bewertet
Digitale Geschäftsmodelle sind die Geschäftsmodelle der Zukunft, die Hardware-basierten Geschäftsmodelle des Industriezeitalters erscheinen im Vergleich weniger sexy und werden entsprechend schlechter bewertet. Zudem sind digitale Geschäftsmodelle meist leichter skalierbar, was zumindest teilweise die enormen Wertentwicklungen erklärt, die wir seit Jahren an den Finanzmärkten beobachten können.
Doch damit nicht genug: Auch die Definition von unternehmerischem Erfolg hat sich verändert. Wo Größe zählt, Daten einen Wert haben und der Gewinner deutlich überproportional profitiert, wird der aktuelle Wert eines Unternehmens nicht mehr als ein Mehrfaches der mit den getätigten Investitionen erzielbaren Gewinne bzw. freien Cash flows begriffen. Sie werden ergänzt durch bzw. an ihre Stelle treten unternehmerische Fantasien, Wachstumsraten und die daraus resultierenden Verbesserungen der zugrunde liegenden Margenindikatoren. Das ist nichts weniger als eine Revolution der im Industriezeitalter üblichen Regeln der Unternehmensbewertung, aber die Kapitalmärkte folgen den neuen Regeln. Und auch wenn Deutschlands Familienunternehmer es häufig nicht wahrhaben wollen: Es gibt keine ernstzunehmenden Stimmen, die behaupten, dass diese Entwicklung keinen Bestand hat. Zudem sind deutsche Unternehmen hier weniger Regelsetzer sondern vielmehr Regelempfänger – unabhängig, ob man diese Entwicklung gut heißt oder nicht.
Für unsere Familienunternehmen ergibt sich daraus eine völlig neue Herausforderung, sind sie doch traditionell weniger wachstums- als stabilitätsgetrieben. Die Frage der sie sich jetzt stellen müssen, lautet: Wie lässt sich die neue Wachstumslogik mit den für Familienunternehmen so wichtigen Vorsichtsprinzip und den legitimen Ausschüttungsinteressen der Familieneigentümer verbinden? Einen vielversprechenden Ausweg aus dem Dilemma könnte ein Umbau von einem fokussierten Industrieunternehmen zu einem diversifizierten Unternehmen mit – zumindest auch – einem attraktiven „Digitalportfolio“ sein. Genau so, wie es deutsche Medienunternehmen z.T. bereits sehr früh erkannt und vorgemacht haben. Hier ist sicherlich an erster Stelle Axel Springer zu nennen, der unter Führung von Matthias Döpfner und Friede Springer diesen Prozess frühzeitig angestoßen hat. Ebenso der Münchener Medienunternehmer Hubert Burda, der frühzeitig die digitale Herausforderung für sein angestammtes Zeitschriftenimperium erkannte und sein Unternehmen gemeinsam mit seinem CEO Paul-Bernhard Kallen um ein erfolgreiches Portfolio neuer digitaler Geschäftsmodelle bereichert hat. Auch die Otto Group hat hier unter Führung von Michael Otto bzw. Alexander Birken und Rainer Hillebrand frühzeitig reagiert und die digitale Transformation des Kerngeschäfts sowie den Aufbau eines Portfolios von digital geprägtem Neugeschäft parallel vorangetrieben.
Eine Digitalisierungsstrategie erfordert ein hohes Maß an Resilienz und viel Flexibilität
Der Erfolg eines digitalen Portfolios und dessen Wert lässt sich allerdings frühestens nach sieben bis zehn Jahren zuverlässig beurteilen. Andererseits materialisieren sich Misserfolge in der Regel recht schnell. Dadurch ist der Druck, den eingeschlagenen Kurs zu verändern, gerade in den ersten Jahren sehr hoch. Zusätzlich ist ein hohes Maß an strategischer Flexibilität gefragt. Die Frage, was strategisch und was Finanzinvestment ist, kann oft nur unzureichend klar beantwortet werden und sich im Zeitverlauf ändern.
Familienunternehmen haben hier einen wichtigen Vorteil, sind sie doch hier angesichts ihrer Kultur, der Nähe von Inhabern und Entscheidungsträgern und der Kontinuität bei den handelnden Personen prädestiniert, eine langfristige und zugleich flexible Perspektive einzunehmen. Sie sollten diesen Vorteil ausspielen und zur Grundlage ihrer Zukunftsstrategie machen.
Was aber müssen unsere Familienunternehmen jetzt tun, um diese Erkenntnisse in ihre bestehenden Inhaber- und Unternehmensstrategien zu integrieren?
Wir brauchen ein anderes Selbstverständnis
Zunächst müssen sie ihr traditionelles Selbstverständnis in Frage stellen. Das typische industrielle Familienunternehmen ist auf einen 3-Generationen-Zyklus und eine einzige industrielle Aktivität ausgerichtet. Mit dieser entsteht, wächst und gedeiht das Familienunternehmen. Dabei bestimmt das Unternehmen nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch die Identität der Unternehmerfamilie. „Die Firma kommt immer zuerst“, lautet ein weit verbreitetes Credo vieler Unternehmerfamilien. Ihr zu dienen und für ihr Wohlergehen zu sorgen, ist das, was die Familie zusammenschweißt.
Im Digitalzeitalter mit seinen kürzeren Lebenszyklen und anderen geschäftlichen Logiken ist ein solches Selbstverständnis nur noch begrenzt zielführend. Unsere Unternehmerfamilien werden etwas Neues lernen müssen, um unter den neuen Rahmenbedingungen auch weiterhin erfolgreich zu bleiben. Es mag schmerzhaft sein, aber es ist wahr: Familien sind nicht auf Gedeih und Verderb dem Erhalt des Unternehmens verpflichtet. Vielmehr geht es darum, die ihnen von der Vorgeneration übergebenen Werte zu erhalten und für die Folgegeneration zu vermehren. Hierbei ist die Identifikation und Realisierung von operativ erfolgreichen Geschäftsmodellen nur eine erste Option. Im Digitalzeitalter müssen andere gleichberechtigt danebentreten; insbesondere dann, wenn es nicht gelingt eine plausible, digital geprägte Vorwärtsstrategie zu entwickeln.
Von der selbstkritischen Bestandsaufnahme zur zukunftsfähigen Digitalstrategie
Um die notwendigen Entscheidungen hinreichend rational zu unterlegen, sollten die Familienunternehmen in drei Schritten vorangehen. Am Anfang sollte eine breit geteilte Hypothese zur Verteidigbarkeit des bestehenden Geschäftsmodells stehen. Wie groß ist die voraussichtliche Gefährdung? Wann wird sie eintreten? Wie können wir sie abwenden oder abmildern? Sind die notwendigen operativen Fähigkeiten, um dies zu tun, bereits im Unternehmen vorhanden oder müssen diese zunächst aufgebaut werden? Welche Auswirkungen auf Umsätze, Erträge und Unternehmenswert kann das haben? Solche Fragen können wehtun, schließlich hängt ein Familienunternehmer nicht nur mit Geld, sondern auch mit Herzblut an seinem Unternehmen. Aber es hilft nichts: Gerade weil das so ist, müssen die Verluste begrenzt werden. Und das setzt eine ehrliche Bestandsaufnahme voraus.
Darüber hinaus ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln, welche Ressourcen in den Aufbau eine Digitalportfolios gesteckt werden können und sollen. Dies ist eine zutiefst inhaberstrategische Entscheidung und setzt neben einer realistischen Einschätzung des ökonomischen Potenzials auch eine selbstkritische Beurteilung der eigenen Möglichkeiten voraus – vor allem im Hinblick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Risikoneigung. Gesprochen werden sollte an dieser Stelle auch darüber, inwieweit die finanziellen Spielräume durch Partnerschaften erweitert werden können, wer als Partner infrage kommt und wie weit der eigene Anteil am gemeinsamen Portfoliounternehmen reduziert werden darf.
Ausgehend von diesen Vorgaben und den ermittelten Potenzialen des Unternehmens kann dann ein realistisches Zielbild zur Entwicklung eines Digitalportfolios entwickelt und ein Realitätscheck vorgenommen werden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle die Bedeutung von Leuchtturmprojekten, um die Erfolgswahrscheinlichkeit der digital geprägten Gesamtaktivitäten deutlich zu erhöhen. Diese lassen sich bei fast jedem erfolgreichen Digitalisierungsprozess identifizieren, signalisieren sie doch sehr klar nach innen wie außen, dass erfolgreiche Digitalisierung möglich ist. Bei Otto ist hier bspw. About You zu nennen, bei Axel Springer haben Stepstone, Immowelt und Idealo eine wesentliche Rolle gespielt, bei Naspers bzw. Prosus hat eine frühe Beteiligung an Tencent den Weg in die erste Liga der Digitalunternehmen geebnet.
Stehen die Ampeln danach immer noch auf „Go“, braucht es „nur noch“ einen guten Maßnahmenplan und dessen konsequente Umsetzung.
Digitalkompetenz in die Gremien holen
Die vorstehend beschriebenen Einschätzungen und Überlegungen erfordern ein hohes Maß an digitaler Kompetenz in den Governancegremien der Familienunternehmen – und genau daran fehlt es bis jetzt. Deutschlands Familienunternehmen brauchen mehr Chief Digital Officers und Digital Natives in CEO-Positionen – hier könnte zum Beispiel Viessmann als Vorbild dienen. Aber auch im obersten Steuerungsorgan, dem Beirat oder Aufsichtsrat des Familienunternehmens, müssen Leute sitzen, die digitale Geschäftsmodelle nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigener Anschauung kennen. Mit analogen Beiratsmitgliedern wird sich der notwendige Schritt zum digitalen Familienunternehmen nicht bewältigen lassen. Wir brauchen dringend mehr Digitalbeiräte in den obersten Steuerungsorganen unserer Familienunternehmen. Erst durch eine fruchtbare Diskussion zwischen aufgeschlossenen Vertretern beider Welten wird sich ein Modell vom Familienunternehmen entwickeln lassen, das das Beste aus diesen Welten in sich vereint.
In unseren Gesprächen mit erfolgreichen Digitalunternehmen, Investoren aus dem Digitalbereich und Managern etablierter Digitalunternehmen haben wir ein reges Interesse an einer Verbindung mit den führenden Unternehmen des German Mittelstand festgestellt - zumindest dann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Einbindung erfolgt auf Entscheidungsebene, so dass wirklich etwas bewirkt werden kann.
- Es herrscht große Aufgeschlossenheit für ein digitales Portfolio und der Wille, etwas zu erreichen.
- Es besteht vollständige Transparenz und Offenheit hinsichtlich der Ziele und Möglichkeiten einer Digitalstrategie.
- Es bestehen ausreichende Ressourcen, um den definierten Pfad wirklich zu beschreiten.
- Die „Chemie“ passt
- und es gibt eine wettbewerbsfähige Vergütung.
Deutschlands Familienunternehmen sollten diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen. Holen Sie sich originäre Digitalkompetenz in Ihre Beiräte – am besten noch heute.