Lernen von den Champions

von Prof. Dr. Peter May

Immer wieder sind es Unternehmer, die mit wirtschaftlichem Gespür und Durchsetzungskraft neuen Ideen zum Durchbruch verhelfen und unser Leben lebenswerter machen. Gottlieb Daimler, Karl Benz und Henry Ford hießen die Pioniere des Automobils, das Backpulver ist ebenso untrennbar mit Dr. Oetker verbunden wie der koffeinfreie Kaffee mit Ludwig Roselius, der Kaffeefilter mit Melitta Benz oder der Haushaltswasserfilter mit Heinz Hankammer.

Unternehmer sind etwas Besonderes

Immer wieder sind es Unternehmer, die mit wirtschaftlichem Gespür und Durchsetzungskraft neuen Ideen zum Durchbruch verhelfen und unser Leben lebenswerter machen. Gottlieb Daimler, Karl Benz und Henry Ford hießen die Pioniere des Automobils, das Backpulver ist ebenso untrennbar mit Dr. Oetker verbunden wie der koffeinfreie Kaffee mit Ludwig Roselius, der Kaffeefilter mit Melitta Benz oder der Haushaltswasserfilter mit Heinz Hankammer. Gäbe es den discountierenden Lebensmittelhandel ohne die Gebrüder Albrecht oder Möbel zum Selberbauen ohne Ingvar Kamprad aus Schweden? Männern wie Steven Jobs und Bill Gates verdanken wir den Personal Computer mit seinen Möglichkeiten, und fast täglich bringt das Internet neue Ideen, neue Pioniere hervor. Nivea und Tesa Film, Coca Cola und Fast Food, Pizza Service und Magenbitter, Formel I und Tipp Kick – auch wenn etliche dieser Produkte längst zu anonymen Großkonzernen gehören: Erfunden wurden sie allesamt von Unternehmern. Wegweisende Innovationen verdanken wir fast nie dem Staat, selten den Konzernen, sondern fast immer außergewöhnlichen Unternehmerpersönlichkeiten. Darin liegt der eigentliche Wert der Unternehmer für unser Gemeinwesen.

Noch etwas: Unter den faszinierendsten Unternehmen der Welt befinden sich etliche, die von Unternehmern oder Unternehmerfamilien geprägt werden. Für die Stars der New Economy gilt dies ohnehin: E- Commerce und Biotech sind ohne die Bezos & Co. gar nicht denkbar. Und in der Old Economy? Hier sind es vielfach Unternehmerfamilien, die – nicht selten seit Generationen – dafür sorgen, dass die Namen ihrer Familien mit den faszinierendsten Unternehmen ihrer Branche verbunden sind. Cargill und Mars aus Amerika, Ahlström aus Finnland, Benetton und Ferrero aus Italien, Bertelsmann, Henkel, Miele, Otto oder Porsche aus Deutschland seien nur beispielhaft genannt. Von Unternehmern oder Familien geführte Unternehmen können besonders sein – und empfinden sich auch so. »Ein Familienunternehmen«, so hat Christiane Underberg es einmal ausgedrückt, »eröffnet Möglichkeiten, aus einer Familientradition und aus der Orientierung an damit verbundenen Werten heraus eine Zukunftsvision zu entwickeln, die ein Beispiel für andere sein kann. (...) Familienunternehmen können und sollten Leuchttürme in der Gesellschaft sein, die Wege in die Zukunft weisen.«


Aber es gibt Unterschiede

Aber ebenso offenkundig sind die Unterschiede. Manche Unternehmer schaffen gigantische Lebenswerke. Zum Beispiel Bill Gates. Vor Jahren stieß ich in einer Zeitschrift auf ein Foto, das eine Gruppe nicht eben unternehmerisch aussehender junger Menschen zeigte. Unterschrieben war die Abbildung mit den Worten: »Würden Sie diesen Leuten Ihr Geld anvertrauen?« Das nahe liegende »Nein« wäre ein großer Fehler gewesen. Das Foto zeigte den jungen Bill Gates und seine Mitstreiter von Microsoft im Jahre 1978 – am Beginn der Unternehmensentwicklung. Kaum mehr als 20 Jahre später war das Unternehmen mit über 30.000 Mitarbeitern, einem Umsatz von etwa 20 Mrd. Dollar und einem Gewinn von fast acht Mrd. Dollar nicht nur eines der größten Unternehmen der Welt. Ende 1999 galt Microsoft als das teuerste Unternehmen und Bill Gates als der reichste Mann der Welt. Etwa ein Drittel der in den »Fortune 500« zusammengefassten größten Unternehmen der USA werden von Unternehmern und Unternehmerfamilien dominiert. Gleiches gilt für zehn der zwölf größten türkischen Unternehmen, und auch in Deutschland sind etliche der Großunternehmen in Unternehmer- oder Familienhand. Namen wie Aldi, Bertelsmann, C&A Brenninkmeyer, Freudenberg, Haniel, Henkel, Heraeus, Lidl & Schwarz, Miele, Merck, Metro, Oetker, Otto, Röchling, SAP, Sixt, Tchibo oder Tengelmann seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt. Auch unter den von Hermann Simon untersuchten Hidden Champions, den meist weniger bekannten Weltmarktführern in Nischenmärkten, befinden sich viele eigentümergeprägte Unternehmen.

Aber nicht jeder ist ein Bill Gates, ein Aldi oder ein Hidden Champion. Die meisten Unternehmer scheitern früher oder später. Ein großer Teil der so hoffnungsvoll gestarteten Unternehmensgründer muss innerhalb der ersten Jahre aufgeben. Andere bauen zwar großartige Unternehmen auf, müssen aber noch zu Lebzeiten das Scheitern ihres Lebenswerkes mitansehen. Borgward, Korf, Münnemann, Neckermann & Co. – die deutsche Wirtschaftsgeschichte ist reich an ebenso schillernden wie tragischen Unternehmergestalten. Die durchschnittliche Lebensdauer eines familien- oder eigentümergeprägten Unternehmens ist mit etwa 24 Jahren erschreckend kurz. Nicht selten hängt das Scheitern mit dem Generationswechsel zusammen. Im Durch- schnitt schaffen es weniger als 20 Prozent der Unternehmen bis zur zweiten Generation und weniger als sieben Prozent überstehen die dritte. Ein Tatbestand, der als Bonmot längst auch den Volksmund erreicht hat: »Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s«, heißt es in Deutschland, »Vom Holzschuh zum Holzschuh in drei Generationen« sagt man in den angelsächsischen Ländern und »Vom Stall zu den Sternen und zurück in den Stall« in Italien. Dennoch: Ein Naturgesetz ist das Scheitern von eignergeprägten Unternehmen keineswegs. Die Familienunternehmen Miele und Henkel sind über 100, Haniel gar mehr als 250 Jahre alt. In Frankreich hat sich eine Organisation gebildet, der überhaupt nur angehören darf, wer auf eine über 200-jährige Tradition als Familienunternehmen zurückblicken kann. Für zwei berühmte italienische Unternehmen kein Problem: Das Weinhaus Antinori wurde 1385, der Waffenhersteller Beretta im Jahre 1526 gegründet. Das älteste Familienunternehmen der Welt kommt aus Japan. Das Hoshi Hotel datiert aus dem 8. Jahrhundert und wird seit mehr als 40 Generationen von der Familie geleitet. Nicht wenigen Unternehmern gelingt es, das von ihnen auf- oder ausgebaute Unternehmen erfolgreich zu übergeben. Auch ist längst nicht alles Scheitern, was von den Gralshütern der Tradition als solches ausgegeben wird. Mancher verkauft auf dem Höhepunkt der Entwicklung und aus freien Stücken – und trifft damit eine unternehmerisch richtige Entscheidung.

Das INTES-Prinzip

Damit sind wir bei einer wichtigen Fragestellung angelangt: Warum schaffen manche Großes und andere nicht? Warum haben einige dauerhaft Erfolg und andere nicht? Was unterscheidet die Erfolgreichen von den weniger Erfolgreichen? Und was macht ihren unternehmerischen Erfolg aus – auch und gerade im Familienunternehmen?

Die Antwort auf diese Fragen gibt das INTES-Prinzip. Es besteht aus fünf Bausteinen, in denen die wichtigsten Erfolgsgeheimnisse der Unternehmer-Champions zusammengefasst sind.


Das INTES-Prinzip

Die Bausteine sind:

  • die Unternehmens-Strategie
  • die persönliche Strategie
  • die Vermögens-Strategie
  • die Familien-Strategie
  • sowie deren Verknüpfung zu einer INTegrierten Eigner Strategie (oder Unternehmer-Strategie).

Unternehmer-Strategie ist mehr als Unternehmens-Strategie Wenn wir über die Bedingungen unternehmerischen Erfolges sprechen, ist unser Blick allzu oft auf das Unternehmen verengt. Gewiss, unternehmerischer Erfolg manifestiert sich in erster Linie im Unternehmen – andernfalls ließe sich kaum zu Recht von unternehmerischem Erfolg sprechen. Zutreffend ist auch, dass er sich nur einstellen kann, wenn auf der Ebene des Unternehmens die richtigen Dinge getan werden. Zu ermitteln, was erfolgreiche Unternehmer in ihren Unternehmen tun, vor allem was sie anders tun, als es gängiger Lehre oder dem Verhalten der Durchschnitts-Unternehmer entspricht, ist deshalb für das Verständnis unternehmerischen Erfolges unverzichtbar.

Ausreichend ist es nicht. Wer sich mit unternehmerischen Erfolgsstorys beschäftigt, gelangt rasch zu der Erkenntnis, dass zum Erfolg mehr gehört als die richtigen unternehmerischen Konzepte und deren konsequente Umsetzung. Eigentümergeprägte Unternehmen scheitern auch eher selten oder nur vordergründig an Fehlern, die im Unternehmen gemacht werden. So wie es in der menschlichen Heilkunde wichtig ist, zwischen Symptomen und ihren Ursachen zu differenzieren, kommt es im Umgang mit Unternehmen, Familienunternehmen zumal, darauf an, nicht nur das Problem, sondern auch dessen Wurzeln zu erkennen. Wer wirklich helfen will, darf sich nicht mit dem Kurieren der Symptome begnügen. Er muss die Ursachen der Fehlentwicklung beseitigen und dem Organismus helfen, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Und die Wurzeln der Probleme eigentümergeprägter Unternehmen liegen selten im Unternehmen. Sie liegen beim Unternehmer selbst, seiner Vermögenssituation oder in der Unternehmerfamilie. Dass die wirklich großen Unternehmer genau dies erkennen und – wenn auch oft unbewusst und »aus dem Bauch heraus« – weit über ihr Unternehmen hinausdenken, ist eine erste wichtige Lektion auf dem Weg zu unternehmerischer Exzellenz.

Mehr noch: Wer sich dieser Erkenntnis verschließt und Probleme allein auf der Ebene des Unternehmens zu lösen versucht, wird auf Dauer als Unternehmer nicht überleben. Genau hier liegt übrigens auch das Dilemma der klassischen Unternehmensberatung bei der Arbeit mit eigentümergeprägten Unternehmen. Wer nur das Unternehmen im Blick hat, greift mit seinem Beratungsansatz zwangsläufig zu kurz. Um die Arbeit mit eigentümergeprägten Unternehmen effektiv zu gestalten, ist es deshalb wichtig, die Unternehmensum eine übergeordnete Unternehmer-Beratung zu ergänzen.

Ich möchte diesen Ansatz, der sich plakativ am ehesten mit den Worten: »Unternehmer-Strategie ist mehr als Unternehmens-Strategie«, zusammenfassen lässt, an einigen Beispielen verdeutlichen.

Die Person des Unternehmers

Ein typischer Gründerunternehmer hatte innerhalb von nur 20 Jahren aus dem Nichts ein beachtliches Unternehmen aufgebaut. Etwa 1990 begann das Unternehmen zu stagnieren, wenige Jahre später waren erste Anzeichen einer Krise nicht mehr zu übersehen. Die Analyse brachte es an den Tag. Die Krise des Unternehmens war eine Krise des Unternehmers. Das Unternehmen war ihm, einem Macher von echtem Schrot und Korn, über den Kopf gewachsen. Er hatte die Übersicht verloren. Nachdem die Ursache des Problems gefunden war, fiel die Lösung nicht mehr schwer. In intensiven Gesprächen gelang es, den Unternehmer davon zu überzeugen, die operative Führung in die Hände eines eher strategisch und strukturell denkenden Nachfolgers zu legen. Innerhalb kurzer Zeit war die Krise überwunden. Das Unternehmen kehrte auf den Wachstumspfad zurück. Der Unternehmer selbst hat sich in den Aufsichtsrat zurückgezogen und ein neues kleines Unternehmen gegründet. Erneut war die Persönlichkeit des Unternehmers zum entscheidenden Faktor für die Unternehmensentwicklung geworden. Nur weil er über menschliche Größe und Souveränität verfügte, konnte er den Weg frei machen und das Unternehmen von einem Menschen führen lassen, dessen Fähigkeiten und Rollenverständnis der geänderten Unternehmenssituation besser entsprachen.

Diese Entscheidung war keine Niederlage. Im Gegenteil: Es war eine durch und durch unternehmerische Entscheidung. Es ist an der Zeit, dass wir mit der in den Nachkriegsjahren geprägten Vorstellung aufräumen, wonach nur Macher, die ihre Unternehmen im John-Wayne-Stil führen, gute oder richtige Unternehmer seien. Oder würden Sie widersprechen wollen, wenn ich Reinhard Mohn als einen der bedeutendsten Unternehmer der Nachkriegszeit bezeichne? Seine Leistung besteht darin, dem Unternehmen Bertelsmann zukunftsweisende Strukturen verordnet und exzellente Unternehmensführer an das Unternehmen gebunden zu haben.

Dass die Wirklichkeit nicht immer so glücklich verläuft wie in unserem Eingangsbeispiel, möge ein weiterer Fall aus der Praxis verdeutlichen. Auch dieser Unternehmer hatte in den Nachkriegsjahren ein weithin geachtetes, typisch mittelständisches Unternehmen aufgebaut. Nun, über 70-jährig, war er krank und nicht mehr in der Lage, dem Unternehmen in einem zunehmend schwierigeren Umfeld die nötigen Impulse zu geben. Doch war er nicht bereit, sein Lebenswerk in jüngere Hände zu legen. Es fehlte ihm die Einsicht und das Vertrauen, dass ein anderer das von ihm geschaffene Unternehmen erfolgreich führen könne. Als sich die Krise verschärfte, wurde das Unternehmen auf Druck von außen verkauft.

So gegensätzlich die Beispiele auch erscheinen mögen: Ich denke, sie machen hinreichend deutlich, wie eng unternehmerischer Erfolg mit der Person des Unternehmers verknüpft ist. Er gibt dem Unternehmen das Gepräge, das Unternehmen ist sein Spiegelbild. Manchem mag diese Erkenntnis banal vorkommen. Aber warum handeln dann nicht mehr Unternehmer danach? Persönlichkeitsentwicklung ist für viele ein Fremd-, für manche gar ein Schimpfwort, und mit kaum einer endlichen Ressource geht der Durchschnitts-Unternehmer so sorglos um wie mit seiner Gesundheit. Jeder Unternehmer hat eine Unternehmens-Strategie. Aber wie viele haben eine Strategie für die eigene Person? Dabei ist der Schluss aus den dargestellten Beispielen ebenso einfach wie zwingend: Nur wer der eigenen Person annähernd die gleiche Aufmerksamkeit widmet wie seinem Unternehmen, wird als Unternehmer auf Dauer Erfolg haben.

Das Vermögen des Unternehmers

Ähnlich verhält es sich mit dem Vermögen des Unternehmers, wie unser nächstes Beispiel zeigt. Der Fall beinhaltet eine der klassischen Problemstellungen im Familienunternehmen. Der über 70-jährige Senior wollte nicht zurücktreten, obwohl ein fähiger Nachfolger bereitstand. Die Situation hatte sich krisenhaft zugespitzt. Der Nachfolger, inzwischen selbst über 40 Jahre alt, drohte damit, das Unternehmen zu verlassen. Eine Konsequenz, die unbedingt vermieden werden sollte, weil man befürchtete, das Unternehmen werde dann in den nächsten Jahren zugrunde gehen. Die Situation war vertrackt, weil die üblichen Erklärungsmuster für das starre Festhalten am Chefsessel versagten. Bis sich eher zufällig der wahre Grund des Problems fand.

»Wovon soll ich leben, wenn ich nicht mehr Geschäftsführer der Firma bin?«, fragte der Senior fast beiläufig. Ein Leben lang hatte er alles Geld in sein Unternehmen gesteckt und stets nur so viel entnommen, wie zur Lebensführung benötigt wurde. Privatvermögen, aus dem der Lebensabend für ihn und seine Frau hätte bestritten werden können, war nicht vorhanden. Und auf die jährliche Dividende wollte er sich nicht verlassen. »Wer weiß, ob der Junior das Unternehmen in den schwarzen Zahlen halten und die Zahlungen garantieren kann?«, wandte er ein. Nun – das Problem konnte gelöst werden. Unverzichtbar für die Lösung war jedoch die Erkenntnis, dass ein Problem aus der Vermögenssphäre des Unternehmers von Bedeutung für eine unternehmerische Entscheidung – die überfällige Wachablösung an der Unternehmensspitze – und damit für den künftigen Unternehmenserfolg werden konnte.

In einer anderen Konstellation tritt dieser Zusammenhang vielleicht noch deutlicher zu Tage. Ich wage an dieser Stelle einmal die Behauptung, die deutschen Familienunternehmen hätten nicht so viele Gesellschafter, wenn die Vermögensstruktur der Unternehmer ausgewogener wäre. Eine Behauptung mit weit reichenden Konsequenzen, wenn man bedenkt, dass die allmähliche Zersplitterung der Beteiligung in der Generationenfolge zu den häufigsten Ursachen für das Scheitern von Familienunternehmen gehört. Zurück zur These. Irgendwann steht jeder Unternehmer vor der Frage: Wem soll er das Unternehmen übertragen? Wen zu seinem Nachfolger machen? Schon schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Als Unternehmer mag er – nicht zuletzt aus eigener Erfahrung – überzeugt sein, dass nur eines seiner Kinder die Nachfolge antreten sollte. »Auf jedem Misthaufen kann es nur einen Gockel geben«, hat dies der Unternehmer Ernst Freiberger einmal umschrieben. »Mehrere Köche verderben den Brei«, sagt der Volksmund und meint das Gleiche. Als Vater aber möchte er alle seine Kinder gleich behandeln, niemanden bevorzugen, und eine Bevorzugung ist die Bestellung zum Unternehmenserben jedenfalls dann, wenn ausreichend anderes Vermögen zum Ausgleich nicht zur Verfügung steht. So übertragen die meisten Unternehmer ihr Unternehmen annähernd gleichmäßig auf ihre Kinder – häufig mit fatalen Langzeitfolgen für das Unternehmen.

Wie das nächste Beispiel zeigt. Jahrzehntelang konnte die mit 30 Prozent am Unternehmen beteiligte Schwester des Geschäftsführen den Gesellschafters damit rechnen, aus der jährlichen Dividende ihren durchaus großzügigen Lebensstil zu finanzieren. Mit dem Tod des Bruders änderte sich das schlagartig. Der Junior hatte ehrgeizige Pläne für das Unternehmen und dafür, so erklärte er seiner Tante, werde alles Geld gebraucht. Langfristig sei das auch in ihrem Interesse, denn schließlich werde das Unternehmen durch die Expansion mehr wert. Die Tante hatte für die fehlenden Ausschüttungen wenig Verständnis. Nachdem verschiedene Versuche, den Neffen umzustimmen, fehlgeschlagen waren, engagierte sie einen Rechtsanwalt, der sich seinen Ruf durch die Vertretung »lästiger Gesellschafter« erworben hatte. In der Folge litt zunächst das familiäre Verhältnis, dann auch das Unternehmen, weil der Junior zunehmend durch Auskunftsersuchen, Sonderprüfungen, Anfechtungsklagen und andere Rechtsstreitigkeiten in Anspruch genommen wurde. Manchem Leser wird diese Situation vertraut vorkommen. Aber haben Sie schon einmal ernsthaft darüber nachgedacht, dass und was derartige Probleme mit der Vermögenssituation der Beteiligten zu tun haben könnten?

Ich denke, es ist deutlich geworden, auf welch unterschiedliche Weise das Vermögen des Unternehmers (resp. der Unternehmerfamilie) Einfluss auf den Unternehmenserfolg nehmen kann. Eine Vernachlässigung der Vermögenspositionen verengt Handlungsoptionen und erzeugt Konfliktfelder, die – jedenfalls langfristig – das Unternehmen gefährden können. Mehr noch: Eine amerikanische Studie hat herausgefunden, dass Unternehmer, die über ausreichend freies, d.h. nicht unternehmerisch gebundenes Vermögen verfügen, im Durchschnitt erfolgreicher sind als ihre Kollegen ohne Privatvermögen. Für deutsche Ohren muss diese Aussage immer noch überraschend klingen. Immerhin glauben viele Unternehmer in Deutschland, ihr Geld sei – von Steuersparmodellen einmal abgesehen – am besten ausschließlich im eigenen Unternehmen angelegt. Eine Position, die überdacht werden muss. Eines aber sollte in jedem Fall klar geworden sein: Ohne eine auf die unternehmerischen und persönlichen Ziele des Unternehmers abgestimmte Vermögens-Strategie ist unternehmerischer Erfolg auf Dauer nicht zu haben.

Die Unternehmer-Familie

In Unternehmen, die nicht von einem oder mehreren Unternehmern, sondern – wie in der Generationenfolge nicht selten – von einer Unternehmerfamilie geprägt werden, kommt ein weiterer Aspekt hinzu – die Unternehmerfamilie. Ihre Rolle ist keineswegs eindeutig. Oft genug gilt sie als Kraftquell des Unternehmens. »Nur der Zusammenhalt der Familie hat das Unternehmen Henkel zu dem werden lassen, was es heute ist«, hat Konrad Henkel, die verstorbene Leitfigur des Düsseldorfer Familienunternehmens, einmal gesagt. Nicht selten aber ist es eben diese Familie, die das Unternehmen in tiefe Krisen stürzt. »Wenn das Familienunternehmen etwas zu fürchten hat, so wohl am ehesten sich selbst bzw. die Unternehmer und die Familien, die dahinter stehen«, schreibt der langjährige persönlich haftende Gesellschafter der Wuppertaler Vorwerk-Gruppe, Jörg Mittelsten Scheid. Die in der Regenbogenpresse so gerne aufgegriffenen Kabalen namhafter Unternehmerfamilien wie Bahlsen, Faßbender (Arag), Herz (Tchibo), Mülhens (4711) oder Voith scheinen ihm ebenso Recht zu geben wie die Vielzahl der weniger öffentlichkeits- wirksamen Streitigkeiten in nicht ganz so exponierten Unternehmerfamilien. Dass es dabei nicht weniger spektakulär zugehen muss, zeigt das Beispiel einer Spedition aus dem Württembergischen, über das die »Wirtschaftswoche« vor einigen Jahren berichtete. Dort war der männliche Nachfolgekandidat, weil er die Dominanz der mit ihm konkurrierenden Schwester nicht länger ertrug, eines Nachts in deren Büro eingedrungen und hatte das Mobiliar mit einer Motorsäge zu Kleinholz verarbeitet. Den Nagel auf den Kopf getroffen hat wahrscheinlich Peter Zinkann, einer der beiden langjährigen Geschäftsführenden Gesellschafter des Gütersloher Traditionsunternehmens Miele, wenn er feststellt: »Familienunternehmen haben einen ganz großen Vorteil und einen ganz großen Nachteil, und beides ist die Familie. Eine Familie in Frieden ist das Beste, was es für eine Firma geben kann, eine Familie in Unfrieden das Schlimmste.«


Nirgendwo tritt der Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg so offen zu Tage, wenig ist so umfassend untersucht worden wie die Rolle der Familie im Familienunternehmen. Längst ist klar: Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern kreisen oft nur vordergründig um unternehmerische Themen. Meist ist das Unternehmen lediglich das Spielfeld, auf dem die Unternehmerfamilie ihr familiäres Monopoly um Geld, Macht und Liebe austrägt. Generationskonflikte, Geschwisterrivalitäten sowie die Konflikte zwischen tätigen und nichttätigen Gesellschaftern haben nie nur mit dem Unternehmen zu tun. Es geht für alle Beteiligten auch darum, den angemessenen Platz im Familiensystem zu finden und zu behaupten. Dies umso mehr, je stärker sich die Familie über ihr Unternehmen definiert und die familiäre durch die unternehmerische Rolle determiniert ist. Es müsste längst klar geworden sein: Wer ein Familienunternehmen managen will, muss das Unternehmen und die Familie managen.

Ungeachtet dessen schenken deutsche Unternehmer dem Management der Familie bislang wenig Aufmerksamkeit. Sie sehen in der Familie einen potenziellen, nur schwer berechenbaren Konfliktherd und handeln lieber nach dem Motto: »Konflikte hat man nicht, Konflikte macht man sich, vor allem, indem man darüber redet.« Bei manchen, zumal älteren Unternehmer-Patriarchen mögen auch Reste preußischen Oktroy-Denkens mitschwingen. Wer aber glaubt, Konflikte ließen sich durch von oben verordnete Rechtsnormen in Gesellschafts- oder Pool-Verträgen regeln, ist auf dem Holzweg. Durch Verdrängen und Verordnen können Konflikte nicht vermieden werden. Ein solches Verhalten trägt bestenfalls zu zähneknirschender Unterwerfung bei, die nur so lange vorhält, bis der »Druck in der Flasche« groß genug ist oder die Machtverhältnisse so weit verändert sind, dass die von oben verordneten Regeln gesprengt werden können. Notfalls auch mit fremder Hilfe. Die dann einsetzenden Rechtsstreitigkeiten haben schon manchen Anwalt reich und manches Familienunternehmen arm gemacht.

Ich habe in meiner langjährigen Erfahrung mit Familienunternehmen eine interessante Erkenntnis gewonnen. Gescheitert sind in der Regel nicht diejenigen, die familiäre Themen ernst nahmen und Konflikte zuließen. Gescheitert sind vielmehr diejenigen, die zuließen, dass der Kreis der Gesellschafter von Generation zu Generation größer wurde, ohne dass Antworten auf die folgenden Fragen gesucht worden wären: Wie sollen die wirtschaftlichen Belange des größer gewordenen Gesellschafterkreises angemessen befriedigt werden? Wie kann es gelingen, sie für das gemeinsame Unternehmen, seine Ziele und Werte und für die daraus resultierenden Einschränkungen ihrer persönlichen Bedürfnisse zu gewinnen? Namhafte Unternehmen wie Cargill, Ahlström, Puig, Haniel, Henkel, Heraeus oder Pfeifer & Langen machen deutlich, dass es mit einer immer wieder angepassten und gelebten Familien-Strategie durchaus möglich ist, auch große und verzweigte Familien dauerhaft für die Idee eines gemeinsamen Familienunternehmens zu begeistern.

Aber wir sollten nicht übersehen, dass dahinter harte Arbeit steckt. Getreu dem Leitsatz, mit dem John Ward sein Standardwerk »Keeping the family business healthy« beginnt: »Keeping a family business alive is perhaps the toughest management job on earth (Ein Familienunternehmen am Leben zu halten, ist vielleicht der härteste Management-Job auf Erden).« Es ist ein Irrglaube anzunehmen, das Unternehmen könne die Familie auf Dauer zusammenhalten. Es ist die Familie, die das Unternehmen tragen muss. Nur eine starke Unternehmerfamilie kann dies leisten. Dafür braucht es Zeit, Offenheit und eine funktionierende Streitkultur. Nicht Unterwerfung, sondern Konsens im Grundsätzlichen, nicht Einebnung, sondern Verständnis für verbleibende Unterschiede lautet das Ziel. Es wird Zeit, dass die Unternehmer und ihre Familien entsprechend handeln. Dass sie dem Management der Familie endlich den gleichen Stellenwert einräumen wie dem Management des Unternehmens. Und dass sie neben einer Unternehmens-, einer persönlichen und einer Vermögens-Strategie auch und zuvörderst eine Familien-Strategie erarbeiten und leben.

Mehr noch: Familien-Strategie kommt vor Unternehmens-Strategie! Denn in der Familie werden die Leitplanken bestimmt, innerhalb derer sich die Unternehmensführung in einem Familienunternehmen bewegen kann. Erst wenn feststeht, wie die Familie sich zu so wichtigen Fragen stellt wie: »Wer soll das Unternehmen führen?« oder: »Wie viel Gewinn darf im Unternehmen verbleiben?«, kann die Unternehmensführung handeln. Dies vergessen oder übersehen zu haben, hat schon vielen familienfremden Managern den Kopf und manchem Geschäftsführenden Gesellschafter den Schlaf gekostet. Die meisten Konflikte entstehen freilich, weil eine Strategie der Familie den Unternehmensführern nicht bekannt oder – schlimmer noch –, weil sie schlicht nicht vorhanden ist. Dann handelt jeder, wie er es für richtig hält, und das heißt selten: in eine Richtung.

In der Praxis bleibt dann häufig nur noch die Trennung, wie die von den Bahlsen-Brüdern 1999 vollzogene Realteilung zeigt. Aus isoliert unternehmensstrategischer Sicht vermochte sie vielleicht nicht zu überzeugen. Unter Einbeziehung familienstrategischer Überlegungen hingegen machte sie durchaus Sinn. Denn zwei kleine, gemessen an ihren Ressourcen zugegeben schwächere Unternehmen sind allemal stärker als ein großes, dessen Protagonisten sich nicht über den gemeinsamen Kurs verständigen können. Ähnliches mag für Pott-Racke-Dujardin gelten, wo Vater und Sohn sich nicht über eine gemeinsame Zukunft des Unternehmens einigen und am Ende auch persönlich so wenig miteinander konnten, dass Marcus Moller-Racke seinen Vater und mit ihm etwa die Hälfte der Gesellschafter auskaufen musste. Ebenso wie Emil Underberg, der sich bereits zu Anfang seiner Karriere von Mutter und Vetter trennte. Dass eine Trennung auch das Ergebnis eines familienstrategischen Konsenses sein kann, habe ich selbst am eigenen Leib erfahren dürfen. Als vorbildlich dürften auch hier die Brüder Albrecht gelten. So antwortete Dieter Brandes, langjähriger Aldi-Manager, auf die Frage nach der wichtigsten strategischen Entscheidung der beiden Brüder: »Ihre wohl größte strategische Tat war ihre frühzeitige Trennung. So konnten Karl und Theo Albrecht jeder für sich ihre Vorstellung vom optimalen Discount-Unternehmen in die Tat umsetzen, ohne ein Leben lang über den richtigen Weg miteinander streiten zu müssen.«

So erarbeiten Sie Ihre persönliche Unternehmer-Strategie

An dieser Stelle werde ich in meinen Vorträgen häufig gefragt: »Ich habe zwar verstanden, dass ich eine Unternehmer-Strategie benötige. Aber wie gehe ich dabei vor?« Die Antwort auf diese Frage ist verblüffend einfach. Als Unternehmer sind Sie durchaus gewohnt, eine Strategie für Ihr Unternehmen zu erarbeiten und umzusetzen. Warum zögern Sie, die gewohnte Vorgehensweise auf die Erstellung Ihrer persönlichen Strategie, Ihrer Vermögens- und Ihrer Familien-Strategie zu übertragen? Im Klartext (vgl. dazu auch Abbildung 2 »Vorgehensweise bei der Erarbeitung einer Unternehmer-Strategie«):

  • Am Anfang jeder Strategie-Erarbeitung steht eine Bestandsaufnahme. Jeder Unternehmer ist von Gesetzes wegen verpflichtet, zumindest einmal jährlich Bilanz zu ziehen und Rechenschaft abzulegen über den Erfolg oder Misserfolg der zurückliegenden Periode.

Auch wenn die moderne Betriebswirtschaftslehre inzwischen eine ganze Reihe zusätzlicher, weitaus artifiziellerer Analysemethoden entwickelt hat, ist und bleibt die Bilanz das klassische Instrument der Erfolgsmessung. Ebenso wie Sie eine Bilanz für Ihr Unternehmen erstellen, können Sie auch Ihre persönliche Situation, Ihr Vermögen und den Zustand Ihrer Familie bilanzieren.

  • Ist die Bestandsaufnahme abgeschlossen, werden die Ziele festgelegt, die in der Planungsperiode erreicht werden sollen,
  • sodann die Art und Weise, wie das Ziel erreicht werden soll. Dieser Weg zum Ziel wird auch Strategie im engeren Sinne genannt.
  • Auf dieser Basis erfolgt die Umsetzung der Strategie, in der Fachsprache operatives Management genannt.
  • Schließlich gilt es, in regelmäßigen Abständen eine Kontrolle der Fortschritte vorzunehmen. Die Ergebnisse dieser erneuten Be standsaufnahmen (Bilanzen) dienen dazu, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Im günstigsten Fall heißt es: Weiter so. Andernfalls müssen mehr oder weniger starke Korrekturen an den einzelnen Elementen der Strategie vorgenommen werden.

Vorgehensweise bei der Erarbeitung einer Unternehmer-Strategie

Und noch etwas: Die isolierte Erarbeitung einer Unternehmens-Strategie, einer persönlichen Strategie, einer Vermögens- und einer Familien-Strategie macht noch keine fertige Unternehmer-Strategie. Denn das Ganze ist bekanntlich mehr als die Summe seiner Teile. Erst durch die Verknüpfung der einzelnen Bausteine wird aus einem Steinhaufen ein Bauwerk. Unternehmens-Strategie, persönliche Strategie, Vermögens-Strategie und Familien-Strategie mögen für sich genommen spannend und aufschlussreich sein. Durch die Verknüpfung der bei ihrer Erarbeitung gewonnenen Erkenntnisse unter einem gemeinsamen Leitgedanken werden sie zu etwas gänzlich Neuem – zu einer gesamt haften Strategie für den Unternehmer. Es ist daher unverzichtbar, stets alle vier Aspekte der Unternehmer-Strategie im Blick zu behalten und sich bei jeder Überlegung und bei jeder Maßnahme aufs Neue zu fragen, welche Auswirkungen sie auf die anderen Bausteine der Unternehmer-Strategie haben mögen. Insbesondere beim Auftreten von Problemen ist es wichtig, deren wirkliche Ursachen zu erforschen, um nicht an falscher Stelle anzusetzen und bei dem letztlich nicht erfolgreichen Kurieren von Symptomen stecken zu bleiben.

Solches Arbeiten erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Um den einzelnen Aspekten gerecht werden zu können, bedarf es ausreichender Kenntnisse über Unternehmens-Strategien und Unternehmensstrukturen, über Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung, über Vermögen und dessen Strukturierung sowie über die Familie und ihre Dynamik. Vor allem aber bedarf es des Generalisten, des Spezialisten für die Ganzheit, der, einem Hausarzt oder Architekten gleich, in der Lage ist, die verschiedenen Fachkompetenzen zu bündeln und ihnen eine einheitliche Richtung zu geben. Im Idealfall kann dies der Unternehmer selbst sein. Aber ebenso wie in Ihrem Unternehmen sollten Sie sich auch bei den übrigen Aspekten der Unternehmer-Strategie nicht scheuen, im Bedarfsfall ergänzende Kompetenz von außen heranzuziehen.

Alles hat seinen Preis

Mancher wird nun einwenden wollen: »Macht das nicht zu viel Arbeit? Schließlich habe ich mit meinem Unternehmen schon genug zu tun.« Ich möchte hierauf mit John Ward antworten, der in seinem bereits erwähnten Buch den »Value of planning« wie folgt umschreibt: »Of course, it is possible for businesses to survive without these revolutions, and without planning. (....) But that approach leaves a lot of luck, and luck is much less likely to work in the future (Natürlich können Unternehmen auch ohne derartige Revolutionen und ohne Planung überleben. (...) Aber dafür braucht es eine Menge Glück, und Glück wird in Zukunft immer unwahrscheinlicher).«

Alles im Leben hat seinen Preis. Jede Entscheidung, die wir treffen. Alles was wir tun. Aber auch alles, was wir nicht tun. »Tu, was du willst, sagte Gott, und zahle dafür«, heißt ein altes Sprichwort. Der Preis der Unternehmer-Strategie ist Zeit und Mühe. Ihr Lohn besteht in Erkenntnis, Commitment und der Chance, ein außergewöhnlicher Unternehmer zu werden.


Gekürzter Auszug aus: Peter May, »Lernen von den Champions – Fünf Bausteine für unternehmerischen Erfolg« (2. Auflage 2004)