Die Next Gen hat viele Optionen und sucht Orientierung

Natalie Rauschendorfer, Dr. Dinah Spitzley und Prof. Dr. Reinhard Prügl haben zusammen Haus Next gegründet. Das Spin-off des Friedrichshafener Instituts für Familienunternehmen (FIF) ist eine digitale Plattform, auf der sich die nächste Generation in Unternehmerfamilien austauschen, informieren und weiterbilden kann. Martina Reischmann – Partnerin der PETER MAY Family Business Consulting – im Gespräch mit dem Gründerteam.

 

Haus Next

 

Martina Reischmann: Liebe Dinah, liebe Natalie, lieber Reinhard, ihr habt die erste digitale Plattform für Next Gens in Familienunternehmen ins Leben gerufen. Was hat euch persönlich dazu bewogen, Haus Next zu gründen?

Dinah Spitzley: Für mich ist es ein Herzensprojekt, andere Next Gens dabei zu unterstützen, ihren Weg zu finden. Ich habe selber erfahren, wie wichtig es ist, sich mit anderen Next Gens in einer sehr vertrauten Art und Weise austauschen zu können. Es hat einen großen Wert, aus einem solchen Austausch gestärkt in Gespräche mit der Familie oder in Konflikte zu gehen. Und auf der anderen Seite lag die Motivation auch in der steilen Lernkurve, die eine Gründung mit sich bringt. Selbst unternehmerisch aktiv zu sein und zu sehen, was es bedeutet die Verantwortung zu tragen und welche Prozesse bei einer Gründung zu durchlaufen sind, auch das war für mich ein wesentlicher Grund.

Natalie Rauschendorfer: Diese Kombination war auch für mich ausschlaggebend. Mir war es vor meinem Studium gar nicht so bewusst, was es bedeutet, aus einem Familienunternehmen zu kommen. In meiner Familie war seit Generationen immer klar, dass der Sohn das Unternehmen weiterführt. Ob die Tochter am Unternehmen interessiert ist, wurde gar nicht zur Diskussion gestellt. Auch bei mir nicht. Erst während des Studiums habe ich gemerkt, dass es sehr wohl hätte zur Diskussion stehen können. Und ich habe auch bei anderen gesehen, dass es ein Bedürfnis gibt, sich über solche Themen auszutauschen. Und der zweite Aspekt war, etwas machen zu wollen, was einen wirklichen Impact hat. Mit Haus Next verfolgen wir die Vision, mit und in unserer Generation etwas zu bewegen und die Zukunft zu gestalten.

Reinhard Prügl: Uns treibt alle drei an etwas Sinnvolles zu tun. Wir haben die Rahmenbedingungen für einen digitalen Peer-to-peer-Austausch geschaffen. Dieser Austausch hilft der Next Gen dabei, Klarheit über die eigene Rolle zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist es dann auch wichtig, die Kompetenz zu erwerben, um diese Rolle ausfüllen zu können. Wir haben festgestellt, dass sich viele Next Gens allein gelassen fühlen mit dieser Herausforderung und dass es gleichzeitig sinnvoll ist, sich frühzeitig mit der Frage auseinanderzusetzen „Was könnte meine Rolle sein“. Hier haben wir einen Bedarf und gleichzeitig eine Chance gesehen, den Austausch zwischen Next Gens zu genau diesen Themen in den digitalen Raum zu erweitern. Das gibt uns die Möglichkeit, eventuell schon offline bestehende Initiativen noch stärker zu vernetzen, eine größere Konstanz zu schaffen und eine schnellere Zugänglichkeit.

Martina Reischmann: Eure Zielgruppe ist die nächste Generation im Familienunternehmen. Was zeichnet diese Generation aus eurer Sicht aus und was unterscheidet sie von der Nachfolgegeneration vor 20 oder 30 Jahren? Inwieweit haben sich die Einstellungen und Zielsetzungen verändert?

Reinhard Prügl: Die Vielfalt der Möglichkeiten hat für Next Gens sehr stark zugenommen. Ich selber stamme aus der Landwirtschaft und in der Generation meines Vaters wurde über die möglichen Rollen der nachrückenden Generation nicht diskutiert. Der älteste Sohn hat übernommen – eine andere Möglichkeit gab es nicht. Das ist heute anders. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, innerhalb und außerhalb des Familienunternehmens. Zum einen beobachten wir immer häufiger, dass Next Gens in einem externen Unternehmen Karriere machen oder selber gründen. Zum anderen werden in Familienunternehmen heutzutage oft verschiedene Rollen etabliert. Das kann die operative Geschäftsführung sein, eine Beiratstätigkeit, eine Rolle als Gesellschafterin oder in der Vermögensverwaltung. Diese Optionen geben den Next Gens Freiheiten aber auch eine gewisse Verantwortung, weil sie sich immer früher mit der Rollenfindung beschäftigen müssen. Die Vielzahl der Möglichkeiten, die die Next Gens heute haben, ist also eine große Chance, schafft aber auch einem großen Bedarf an Orientierung. Und hier wollen wir Anlaufstelle und Orientierungsgeber sein.


Natalie Rauschendorfer ist Geschäftsführende Gesellschafterin des Haus Next und promoviert derzeit zum Thema Wahrnehmung von Familienunternehmen am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen. Dr. Dinah Spitzley ist ebenfalls Geschäftsführende Gesellschafterin des Haus Next und hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit am FIF die persönliche Entwicklung von Next Gens aus Unternehmerfamilien begleitet. Beide stammen selber aus Familienunternehmen und verbinden so die persönliche mit der wissenschaftlichen Perspektive. Prof. Dr. Reinhard Prügl leitet das Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen und ist dort Professor für Technologie, Entrepreneurship und Innovation. Er begleitet und unterstützt das Haus Next als Gesellschafter.


Martina Reischmann: Welche Auswirkungen hat denn diese Vielzahl an Möglichkeiten und Freiheiten, die die Next Gen heute hat, auf den Nachfolgeprozess?  

Reinhard Prügl: Wir stellen fest, dass sich Familienunternehmen zunehmend bei der nächsten Generation mit verschiedenen Rollenangeboten nahezu „bewerben“ oder dies tun müssen. Es ist beispielsweise nicht mehr automatisch gesetzt, dass die Next Gen eine operative Führungsrolle im Unternehmen übernimmt. Lange Zeit hat die Seniorgeneration fest damit gerechnet, dass – sobald sie zur Übergabe bereit war – die Kinder parat stehen und dankbar sind, übernehmen zu dürfen. Was wir heute erleben ist eine Next Gen, die sich gut überlegt „will ich das Familienunternehmen überhaupt weiterführen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?“. Dadurch entsteht eine ganz andere Verhandlungssituation zwischen der abgebenden und der übernehmenden Generation.

Der Trend unter den Next Gens, erstmal ein eigenes Unternehmen zu gründen, schafft noch einmal zusätzliche Unabhängigkeit – das schließt aber eine spätere Rückkehr ins Unternehmen trotzdem nicht aus. Dann aber vielleicht in einer anderen Rolle. Eine im Beirat aktive Gesellschafterin baut sich möglicherweise zunächst eine externe Karriere auf und steigt später vielleicht doch in die operative Führung ein. Andersherum entscheidet ein Nachfolger vielleicht die operative Geschäftsführung abzugeben und seine Verantwortung lieber in der Rolle eines Beirats oder als aktiver Gesellschafter wahrzunehmen.

Die Durchlässigkeit ist stärker geworden. Das hängt mit vielen Dingen zusammen, zum Beispiel mit dem Thema der räumlichen Veränderung. Heute ist es nicht mehr immer angestrebt bzw. zwingend notwendig am Unternehmensstandort zu leben, um unternehmerisch mitwirken zu können. Auch das Lebensmodell „Heirat mit 25, Kinder, Mann in der Geschäftsführung, die Frau kümmert sich um die Familie“ ist ja stark in der Veränderung begriffen.

Martina Reischmann: Liebe Dinah, liebe Natalie, was fordert ihr als Vertreter der nächsten Generation vor dem Hintergrund dieses Wandels ein? Was ist euch wichtig im Nachfolgeprozess und mit welchen Wünschen tretet ihr an die Elterngeneration heran?

Natalie Rauschendorfer: Beide Seiten müssen ihre Erwartungen offen kommunizieren. Es muss die Möglichkeit geben, sich darüber auszutauschen, wie und unter welchen Bedingungen man sich im Unternehmen einbringen möchte. Es ist auch wichtig sagen zu dürfen, was man sich nicht vorstellen kann. Leider wird dieser offene Dialog über Erwartungen und Vorstellungen oft nicht geführt und dadurch kommt es später natürlich zu Konflikten.

Offene Kommunikation zu den Erwartungen aneinander, ein gewisses Grundvertrauen ineinander und die Möglichkeit auch einmal Fehler machen zu dürfen sind ungemein wichtig. Wenn man nie frei handeln darf und sich nie ausprobieren kann, dann kann man sich auch nicht entwickeln. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die Seniorgeneration bewusst ist, dass es einen Wandel geben wird, sobald die Next Gen ins Unternehmen eintritt. Wir möchten neue Themen einbringen, aber wir sind auch bereit, von den Erfahrungen der Seniorgeneration zu lernen.

Martina Reischmann: Dinah, wie ist Deine Perspektive auf dieses Thema?

Dinah Spitzley: Für mich spielen die Themen Selbstverwirklichung und Individualisierung eine wichtige Rolle. Das sind große Wörter aber für die Next Gens ist es elementar einzufordern, was ihnen wichtig ist. Ich beobachte bei vielen Nachfolgern eine große unternehmerische Lust, die sollte unterstützt und nicht ausgebremst werden. Hierarchien und Grenzen sollten ein Stück weit ablegt werden, damit Entscheidungen neutral evaluiert werden können und nicht hauptsächlich wichtig ist, wer sie getroffen hat. Viele Junioren bringen neue eigene Ideen mit. Meine Vorstellung ist es, dass diesen Ideen Gehör geschenkt wird, dass Argumente und Inhalte zählen und die Entscheidungsbasis bilden, ob etwas umgesetzt wird oder nicht. Darüber hinaus sollte eine Familie für sich entscheiden, wie sie eine gute Balance zwischen Familie und Unternehmen findet. Denn an erster Stelle ist die Familie eine Familie und dann kommt erst das Unternehmen. Das wird ganz häufig nicht so gelebt und dadurch entstehen Druck und Konflikte.

Martina Reischmann: Jetzt haben wir viel über die Erwartungen an die Seniorgeneration gesprochen. Was ist es denn, das die nächste Generation in unsere Familienunternehmen von morgen einbringen kann und will?  

Dinah Spitzley: Wir sehen in unseren Studien, dass die nächste Generation sich stark mit dem Familienunternehmen identifiziert, sich sehr gerne einbringen möchte und ein interessantes Spannungsfeld mitbringt. Sie wollen auf der einen Seite Verantwortung für ihre Unternehmerfamilie übernehmen und auf der anderen Seite steht aber auch eigenverantwortliches Handeln, Selbstverwirklichung und Individualität an höchster Stelle. Die Next Gens haben ein sehr ausgeprägtes unternehmerisches Selbstvertrauen. Für diese Tendenz zum unternehmerischen Handeln würde ich mir auch eine größere Akzeptanz in der Gesellschaft wünschen. Denn Unternehmertum war ja lange zu einem gewissen Grad verpönt und der Beruf des Unternehmers ist nicht unbedingt immer nur positiv konnotiert. Wir brauchen Anerkennung dafür, dass viele Next Gens ein starkes Bedürfnis haben, etwas zu verändern und die Welt ein Stück weit besser zu machen. Und ich glaube, dass sie dieses Bedürfnis auch in die Unternehmen einbringen werden.

Reinhard Prügl: Dabei wird auch wieder wichtig, das Bewusstsein zu schärfen, dass Next Gens in ganz unterschiedlichen Rollen im Unternehmen einen Impact erzeugen können. Die Rahmenbedingungen, in denen wir leben und arbeiten verändern sich immer schneller und werden immer komplexer. Um darauf gut reagieren zu können hilft es meines Erachtens auch in der Familie unterschiedliche Perspektiven und damit Komplexität zuzulassen. Das ist manchmal mühsam und anstrengend, aber diese Diskussionsprozesse können das große Ganze letztlich auch stärker machen. Bei den Themen Digitalisierung oder nachhaltiges Handeln zum Beispiel hat die junge Generation vielleicht schon viel mehr Erfahrung als die Seniorgeneration und kann so mithelfen, die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

Martina Reischmann: Interessante Ansätze. Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ergänzen, den die Next Gen einbringen kann. Die Karrierewege der heutigen Generation sind oft vielschichtiger und weniger geradlinig als früher. Viele nutzen ihre Freiheit, arbeiten im Inland wie im Ausland, sammeln Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen oder gründen selbst. Das führt dazu, dass sie ihren Horizont erweitern und eine Vielfalt an Perspektiven kennenlernen. Dies kann später sehr hilfreich sein in einer Welt, die sich schnell verändert und in der Wissen schnell veraltet. Wenn sie nach diesen Erfahrungen aktiv und motiviert entscheidet ins Familienunternehmen einzusteigen, ist das eine gute Basis, um unternehmerisch tätig zu werden und ihre vielfältigen Perspektiven dort einfließen zu lassen.

Ich habe auf eurer Website einen Satz gelesen, der bei mir hängengeblieben ist: „Bei Haus Next stehst du als Nachfolger und nicht das Unternehmen im Vordergrund.“ Das hat mich als Nachfolgerin natürlich angesprochen, weil wir es ja gewohnt sind, dass das Unternehmen in der Familie eine sehr zentrale Stellung einnimmt. Auf der anderen Seite stellen wir in den von uns begleiteten Inhaberstrategie-Prozessen das Unternehmen in den Mittelpunkt des Denkens. Familieninteressen und Unternehmensinteressen stehen dabei vor den Einzelinteressen der Next Gens. Ist das in euren Augen ein Widerspruch?

Reinhard Prügl: Aus meiner Sicht ist das kein Widerspruch, weil es um unterschiedliche Phasen geht. In einer Orientierungsphase möchte niemand auf die Rolle als „Sohn oder Tochter von“ reduziert werden. Aber in einer späteren Phase ist das Unternehmen ja oftmals wieder das verbindende Element, warum eine Familie zusammenkommt. Und im Hintergrund ist das Unternehmen ja auch immer da. Bei Haus Next legen wir nur den Fokus darauf, dass man als Individuum seine eigene Rolle findet.

Dinah Spitzley: Und wir wollen die Möglichkeit geben, die eigene Persönlichkeit auch einmal losgelöst vom Unternehmen zu entfalten. Denn es ist wichtig, auch einmal für einen Moment auszubrechen und zu definieren: „Was bin ich ohne das Unternehmen und wie sähe mein Leben dann aus? Was würde ich ohne das Unternehmen tun?“ Ich glaube diese Frage wird sich viel zu selten gestellt, obwohl sie sehr dabei hilft herauszufinden, was wir wollen und wo wir unsere Positionen sehen.

Martina Reischmann: Das ist ein sehr guter Punkt. Denn wenn man diese Klarheit für sich hat und weiß, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen, kann man aus meiner Sicht den größten Mehrwert für das Unternehmen leisten und gleichzeitig für sich selber die größte Zufriedenheit erlangen.

Zum Schluss würde mich noch eure persönliche Vision für Haus Next interessieren.

Natalie Rauschendorfer: Unsere Vision ist es vor allem, dass wir die Ansprechpartner für Next Gens in Deutschland werden und vielleicht später auch einmal über die Grenzen hinweg. Und das Next Gens, die nach ihrer Rolle suchen, wissen, dass Haus Next ihnen helfen kann und sie bei uns eine Anlaufstelle und Austauschpartner finden. Jetzt haben wir dafür erst einmal unser digitales Haus, aber schön wäre es natürlich auch, wenn wir irgendwann ein physisches Haus hätten, in dem sich dann tatsächlich unsere Bewohner treffen und zusammenkommen können.

Martina Reischmann: Meine letzte Frage an euch, Dinah und Natalie, aus eurer persönlichen Erfahrung heraus, welchen Satz würdet ihr der Next Gen gerne mitgeben?

Dinah Spitzley: Bleib dir selbst treu.

Natalie Rauschendorfer: Perfekt, dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Martina Reischmann: Ich danke euch sehr herzlich für das Gespräch und wünsche euch alles Gute für die nächsten Schritte mit Haus Next!