Die Family-Business-SWOT-Analyse
Eine klare Vorstellung davon, was ein Familienunternehmen ist, hilft uns, die Besonderheiten dieses Unternehmenstyps besser zu verstehen und ihre Verhaltensweisen rationaler Beurteilung zugänglich zu machen. Einen Einstieg in entsprechende Überlegungen kann die SWOT-Analyse liefern. Dieses beliebte Analyseinstrument hilft Unternehmen, spezifische Chancen und Herausforderungen aus ihrem Umfeld sowie eigene Stärken und Schwächen zu erkennen, zueinander in Beziehung zu setzen und sich dementsprechend zu positionieren. Sie wird auch von Familienunternehmen gerne genutzt. Allerdings sollten wir sie hier um einige Aspekte ergänzen, die sich aus dem besonderen Charakter dieses Unternehmenstyps ergeben. Jedes der drei konstitutiven Begriffsmerkmale des Familienunternehmens begründet spezifische Chancen und Herausforderungen. Alle, die mit Familienunternehmen zu tun haben, gleich, ob als Wettbewerber, Kunde, Lieferant, Mitarbeiter oder Berater, sollten sie kennen.
Inhaber und Unternehmensführung müssen darüber hinaus beantworten können, ob und inwieweit ihr Familienunternehmen die abstrakten Vorzüge zu individuellen Stärken ausgebaut hat oder ob es insoweit Schwächen aufweist. Und sie sollten wissen, ob sich die zunächst nur abstrakt benennbaren Gefährdungspotenziale bei ihnen als handfeste Schwächen manifestieren oder ob es gelungen ist, ihnen durch entsprechende Vorkehrungen wirksam zu begegnen. Auf diese Weise lässt sich mit Hilfe einer eigenständigen Family Business SWOT-Analyse eine wichtige Hilfestellung zur Entwicklung adäquater Normstrategien für Familienunternehmen und ihre Inhaber geben.
Chancen und Herausforderungen dominanter Inhaberschaft
Der Prinzipal-Agenten-Konflikt
Bei Leistungsvergleichen mit Publikumsgesellschaften wird von deren Verfechtern gerne auf die angeblich systemimmanenten Schwächen der Familienunternehmen hingewiesen. Dabei wird übersehen, dass auch die Publikumsgesellschaften systemimmanente Schwächen aufweisen.
Die wichtigste von ihnen wird als Prinzipal-Agenten-Konflikt bezeichnet. Dieser ist leicht erklärt: In der Publikumsgesellschaft müssen sich die Inhaber (Prinzipale) zur Führung ihres Unternehmens systembedingt beauftragter Manager (Agenten) bedienen, die teilweise andere Interessen verfolgen als ihre Prinzipale. Während letztere in erster Linie an der Rendite des von ihnen eingesetzten Kapitals interessiert sind, geht es den Agenten primär um die Rendite der eigenen Arbeitskraft. Die Erkenntnis, dass daraus ein Problem resultiert, ist älter als die moderne Betriebswirtschaftslehre. Adam Smith formulierte es schon 1776: „The directors of such companies, however, being the managers rather of other people’s money than of their own, it cannot well be expected that they should watch over it with the same anxious vigilance with which the partners in a private copartnery frequently watch over their own.“ Auch Adolf Berle und Gardiner Means haben in ihrem bahnbrechenden Werk die moderne Publikumsgesellschaft und die mit ihr einhergehende Trennung von Eigentum und Führung zwar als entscheidend für den ökonomischen Erfolg der westlichen Volkswirtschaften beschrieben, andererseits aber auch deutlich auf die Risiken dieser Trennung hingewiesen: „In the development of the corporation, constantly widening powers over the management of the enterprise have been delegated to groups within the corporation. … With the separation of ownership and control, these powers developed to a stage permitting those in control of a corporation to use them against the interests of ownership.“
Wohin das führen kann, hat sich erst jüngst wieder gezeigt, als sich unter dem Deckmantel der Shareholder-Value-Lehre die Gesamtvergütungen der angestellten Manager so weit von der Entwicklung der Unternehmenswerte abkoppelten, dass die Shareholder-Value-Theorie im Ergebnis zu einer Manager-Value-Theorie mutierte. Bestrebungen zur Sicherstellung guter Corporate Governance in Publikumsgesellschaften sind deshalb nichts anderes als der (oft nur begrenzt erfolgreiche) Versuch, die negativen Folgen des Prinzipal-Agenten-Konfliktes zu begrenzen. Am Grundsachverhalt ändern sie nichts: Um den Problemen des Prinzipal-Agenten-Konfliktes zu begegnen, müssen Publikumsgesellschaften Kontroll- und Anreizmechanismen schaffen, die mit erhöhten Transaktionskosten verbunden sind. Dieser Nachteil wird noch verstärkt, weil Publikumsgesellschaften umgekehrt auch nicht von der disziplinierenden Wirkung profitieren, die sich bei Identität von Prinzipal und Agent aus dem Umgang mit eigenen Ressourcen ergibt. Mit anderer Leute Geld geht man halt sorgloser um als mit eigenem.
Man muss vielleicht nicht so weit gehen wie Adam Smith, der schon 1776 zu dem Schluss kam: „It is upon this account that joint stock com- panies for foreign trade have seldom been able to maintain the competi- tion against private adventures.“ Zumindest aber legen die Ergebnisse der jüngsten Erfolgsvergleiche zwischen Publikumsgesellschaften und Familienunternehmen die Vermutung nahe, dass die negativen Folgen des Prinzipal-Agenten-Konfliktes mindestens ebenso schwer wiegen wie die gern zitierten Nachteile familiärer Inhaberschaft.
Übereinstimmung von Inhabern und Führung als Systemvorteil
Im Familienunternehmen stellt sich der Prinzipal-Agenten-Konflikt nicht mit gleicher Schärfe. Solange der Inhaber sein Unternehmen selbst führt, ist er sogar vollständig ausgeschaltet. Das ändert sich zwar, wenn in späteren Generationen eine Aufteilung in aktive und nichtaktive Gesellschafter stattfindet. Gleichwohl entsteht der Prinzipal-Agenten-Konflikt auch in dieser Konstellation nur in abgeschwächter Form, da der Agent auch Eigentümer ist und insoweit ein gleichgerichtetes Interesse mit den übrigen Prinzipalen verfolgt. Selbst wenn die Familie die Führung ihres Unternehmens an ein familienfremdes Management delegiert, ist die Situation nicht mit der in einer Publikumsgesellschaft vergleichbar, weil als Folge der dominanten Inhaberschaft der Familie jederzeit klar ist, wo die Macht liegt. Sätze wie „Das Familienunternehmen gehört der Familie, die Publikumsgesellschaft dem Vorstand“ machen deutlich, wo die Unterschiede im Selbstverständnis angestellter Manager in Publikumsgesellschaften und Familienunternehmen liegen. Die vollständige oder partielle Abwesenheit des Prinzipal-Agenten- Konfliktes ist ein nicht zu unterschätzender Systemvorteil der Familien- unternehmen. Die amerikanischen Nobelpreisträger Fama und Jensen haben es auf den Punkt gebracht: „With owner managers, first, there is a natural alignment of interests about growth and risk. This alignment reduces costly mechanisms for separating the management and control of decisions. Second, private ownership personal involvement assures that managers will not expropriate shareholder wealth through consumption of perquisites and the misallocation of resources. Third, the special relation among owners provides advantages in monitoring decision making.“
Als Folge der reduzierten Prinzipal-Agenten-Problematik entfallen kostspielige und zeitaufwendige Kontroll- und Abstimmungsmechanismen. Reibungsverluste nehmen ab. Glaubt man dem Managementexperten Hermann Simon, müssen die Führungskräfte in mittelständischen Familienunternehmen nur etwa 10 bis 30 Prozent ihrer Zeit für die Überwindung unternehmensinterner Widerstände aufwenden, während der vergleichbare Zeitaufwand in Nicht-Familienunternehmen bei 50 bis 70 Prozent liegt. Entscheidungen werden entsprechend schneller getroffen und umgesetzt – selbst in Großunternehmen. Das gilt auch für die Revision von Fehlentscheidungen. So wirkte die Familie Quandt als dominierender Inhaber von BMW bereits im Jahr 2000 darauf hin, dass sich das Unternehmen aus seinem glücklosen Engagement beim britischen Automobilhersteller Rover zurückzog, während Daimler-Chef Jürgen Schrempp sein etwa zur gleichen Zeit begonnenes, weitaus verlustreicheres Chrysler-Abenteuer zum Schaden seiner Aktionäre noch etliche Jahre länger fortführen konnte. Je geringer der Prinzipal-Agenten-Konflikt ausgeprägt ist, desto besser ist sichergestellt, dass das Unternehmen im Sinne der Eigentümerinteressen geführt wird. Eine Unternehmensführung, die in der Gewissheit handelt, dass die Folgen ihrer Entscheidungen auch mit eigenem Geld bezahlt werden müssen, wird bei ihren Aktivitäten verantwortungsbewusster vorgehen. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, selbst persönlich haftender Gesellschafter des gleichnamigen Familienunternehmens, macht deutlich, was damit gemeint ist: „Sicherlich gehen wir Risiken ein, doch irgendwo gibt es dann eine Grenze, wo ich sage: Das geht nicht mehr, das ist das Geld unserer Familie und der nächsten Generation.“
Darüber hinaus erlaubt es die dominante Inhaberschaft, einen besonderen Inhaberbonus zu aktivieren. Wenn dominante Inhaber, sei es als Geschäftsführer, Aufsichtsräte oder Gesellschafter, gegenüber ihren Mitarbeitern und Kunden erkennbar auftreten, können sie ein Vertrauenspotenzial kapitalisieren, dessen ökonomischer Wert noch viel zu wenig erforscht ist. Unternehmer(-familien), die ihren guten Namen erkennbar mit ihrem Unternehmen verbinden, spielen einen Wettbewerbsvorteil aus, dem die anonyme Publikumsgesellschaft nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat.
Machtmissbrauch als systembedingte Herausforderung
Die starke Machtposition eines dominanten Inhabers hat aber nicht nur Vorteile. Niemand kann einen dominanten Inhaber hindern, seine Machtposition zum Schaden des Unternehmens zu missbrauchen. Solange er sich dabei im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt, wird solches Verhalten allein vom Markt bestraft. Wer die Macht hat, die maßgeblichen Führungspositionen im Unternehmen zu besetzen, kann auch nicht ausreichend befähigte Personen in die entsprechenden Positionen hieven. Im Familienunternehmen ist diese Gefahr besonders groß. Viele Unternehmereltern sind nicht in der Lage, zwischen ihrer Verantwortung als Unternehmensinhaber und ihrer Rolle als Eltern zu unterscheiden, und besetzen Führungspositionen im Unternehmen mit Kindern, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Und wer nicht nur Unternehmensführer, sondern als dominanter Inhaber zugleich sein eigener Chef ist, kann an seinem Posten über jede vertretbare Altersgrenze hinaus fest- halten. Professionell oder gar vorbildlich ist ein solches Verhalten nicht. Wer als dominanter Inhaber über die Ziele und Wertvorstellungen, über wichtige Personalmaßnahmen, über strategische Weichenstellungen und andere Maßnahmen von vergleichbarer Bedeutung entscheiden kann, trägt eine hohe Verantwortung. Er kann sich dieser Verantwortung gewachsen zeigen oder nicht. Er kann bei seinen Entscheidungen die Interessen des Unternehmens in den Vordergrund stellen oder sich an dem ausrichten, was für ihn persönlich oder aus Familiensicht wünschenswert erscheint. Wenn Familienunternehmen scheitern, ist häufig genug die Rede davon, die Familie sei mit ihrer Inhaberrolle überfordert gewesen. So kommentiert der Journalist Hagen Seidel das Scheitern des ehemaligen Karstadt-Quelle-Konzerns Arcandor und seiner Großaktionärin Madeleine Schickedanz mit den Worten: „Wo es einer verantwortungsvollen Unternehmerin mit eigenen, intern klar artikulierten Vorstellungen und deren Kontrolle bedurft hätte, war Schickedanz kaum mehr als eine Namens- und Geldgeberin … Eigentum verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist Madeleine Schickedanz nur unzureichend nachgekommen.“
Chancen und Herausforderungen familiärer Inhaberschaft
Zwei Welten treffen aufeinander
Die Tatsache, dass es sich bei dem dominanten Inhaber um eine Familie handelt, ist für Familienunternehmen von zusätzlicher Bedeutung. Die Verbindung von Familie und Unternehmen schafft ein dynamisches Umfeld. Denn die beiden Systeme funktionieren nach verschiedenen Gesetzmäßigkeiten.
Während etwa die Zugehörigkeit zu einer Familie auf Verwandtschaft beruht und nur begrenzter Disposition unterliegt, basiert die Mitgliedschaft im Unternehmen auf vertraglicher Grundlage und kann aufgekündigt werden. Und während Unternehmen ihren Wert aus ihrem wirtschaftlichen Erfolg ableiten und ihre Mitglieder demzufolge an deren Beitrag zur Erreichung dieses Erfolges messen, sind Familien darauf ausgerichtet, ihren Mitgliedern Sicherheit und Geborgenheit so- wie die notwendigen Fähigkeiten für eine erfolgreiche Bewährung im Lebenskampf zu vermitteln. Der Wert des einzelnen Mitgliedes bemisst sich in der Idealfamilie nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, sondern ergibt sich aus der Zugehörigkeit zum Familienverband an sich. Während im Unternehmen eine differenzierende Behandlung systemimmanent ist, verlangen die Mitglieder des Systems Familie Gleichbehandlung und Ausgleich von der Natur vorgegebener Benachteiligungen. Plakativ könnte man formulieren: Ideale Familien unterstützen die Schwachen, ideale Unternehmen fördern die Starken. „Das, was im Lichte der einen Logik richtig erscheint, kann aus der Perspektive der anderen Logik falsch sein“, stellen die Familienforscher Arist von Schlippe und Sabine Klein zu Recht fest.
Unternehmerfamilien und Familienunternehmen müssen deshalb einen schwierigen Spagat bewältigen. Familienunternehmen sind keine normalen Unternehmen, weil sie neben den unternehmerischen Anforderungen in angemessenem Umfang auch die Bedürfnisse der Familie befriedigen müssen, wenn sie Familienunternehmen bleiben wollen. Und Unternehmerfamilien sind keine normalen Familien. Als dominante Inhaber eines Unternehmens müssen sie versuchen, die Belange von Familie und Unternehmen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, wenn sie eine erfolgreiche Unternehmerfamilie bleiben wollen. Die entscheidenden Fragen lauten: Wie weit soll das Familiensystem das Unternehmen beeinflussen und wie weit das Unternehmen die Familie? Welcher Einfluss ist förderlich und welcher schädlich?
Erste theoretische Ansätze zu ihrer Beantwortung wurden bereits in den 1980er Jahren entwickelt. Dem sogenannten 2-Kreis-Modell lag die Vorstellung zugrunde, dass es bei der Führung eines Familienunternehmens zuvörderst darum gehe, familiäre Bedürfnisse und unternehmerische Anforderungen miteinander zu versöhnen. Wie dies gelingen könnte, vermitteln Ernest Doud und Lee Hausner in ihrem Buch Hats Off to You mit Hilfe einer kleinen Geschichte: Ein Familienunternehmer hat einen Sohn, über dessen Eignung zur Führung des Unternehmens er sich nicht sicher ist. Um ihn zu testen, überträgt er ihm verschiedene Aufgaben im Unternehmen. Nach einem Jahr endet das Experiment – mit negativem Ergebnis. Der junge Mann hatte weder die persönlichen noch die fachlichen Fähigkeiten zur Führung nachweisen können. Daraufhin verabredet sich der Unternehmer-Vater mit seinem Sohn, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen. Zunächst schlüpft er in die Unternehmerrolle: „Mein Sohn“, beginnt er, „ich spreche nun als dein Chef zu dir. Du hattest ein Jahr Zeit nachzuweisen, dass du ein wertvolles Mitglied unseres Führungsteams und für meine Nachfolge geeignet bist. Du hast deine Chance nicht genutzt. So leid es mir tut, aber du kennst die Regeln. Du bist draußen.“ Darauf hält er einen Augenblick inne, umarmt seinen Sohn und fährt fort: „Nun spreche ich als dein Vater zu dir. Du hast soeben eine verdammt schlechte Nachricht erhalten. Wie kann ich dir helfen?“
Doud und Hausner wollen mit dieser Geschichte eine einfache Regel illustrieren. Für den professionellen Umgang mit der Konkurrenz der beiden Systeme Familie und Unternehmen genügt es nicht, sich ihre Existenz und die in ihnen jeweils gültigen Normen und Verhaltensweisen vor Augen zu führen. Die Beteiligten müssen sich stets auch klarmachen, in welchem System sie gerade agieren, und nach den dort maßgeblichen Regeln handeln. Soweit es um unternehmerische Fragen geht, müssen sie den Unternehmens-Hut aufsetzen, bei familiären Themen den Familien-Hut. Ganz so, wie es der Unternehmer-Vater in der Geschichte von Ernest Doud und Lee Hausner getan hat.
Voraussetzung für das Funktionieren des Zwei-Hüte-Konzepts ist allerdings, dass die Regeln, nach denen in Familie und Unternehmen entschieden wird, klar sind. Die Inhaberfamilie muss sich dazu bekennen, in welchem Umfang familiäre Erwartungen in das Unternehmen hineingetragen werden und inwieweit Unternehmensbelange die Familienkultur prägen sollen. In Mitteleuropa wird von Unternehmerfamilien traditionell ein doppelter Business-First-Ansatz favorisiert. Für das Unternehmen bedeutet dies, dass die Ausübung der Inhaberrechte unter den Generalvorbehalt gestellt wird, dass sie das Unternehmen nicht belasten. Und in der Familie hat der Business-First-Ansatz zur Folge, dass typische Merkmale des Systems Familie im Firmeninteresse relativiert werden. Insbesondere der Wert der Familienmitglieder wird in Business-First-Familien häufig daran gemessen, wie hoch ihr Leistungsbeitrag zur Erreichung des gemeinsamen unternehmerischen Zieles ist. Zwingend ist dies keineswegs. Tatsächlich muss jede Inhaberfamilie für sich selbst bestimmen, inwieweit sie in Unternehmen und Familie einem Business-First- oder einem Family-First-Verständnis folgt.
Das 2-Kreis-Modell wurde später von Tagiuri und Davis zu einem 3-Kreis-Modell weiterentwickelt. Indem der Bereich Unternehmen in die beiden Dimensionen Inhaberschaft und Management aufgespalten wurde, ermöglichte es das 3-Kreis-Modell, zusätzlich zum Grundsatzkonflikt Familie versus Unternehmen auch die Rollenkonflikte im Familienunternehmen zu verstehen und einzuordnen. Der Erkenntnis folgend, dass die Sichtweise eines Menschen durch den Standpunkt bestimmt wird, von dem aus er handelt, macht das 3-Kreis-Modell die Vielfalt der im Familienunternehmen existierenden Konfliktfelder anschaulich. Es hilft beispielsweise zu verstehen, warum ein familienfremder Manager die Frage nach der Höhe einer angemessenen Ausschüttung anders beurteilt als ein Inhaber und warum zwischen inaktiven und im Management tätigen Inhabern ebenfalls unterschiedliche Sichtweisen bestehen werden. Auch macht es anschaulich, warum inaktive Gesellschafter oder nicht am Unternehmen beteiligte Familienmitglieder tendenziell eine geringere Identifikation mit dem Unternehmen haben werden als aktive Inhaber. Und nicht zuletzt zeigt es, dass und wie sich die Problemlandschaft mit jeder Veränderung der Inhaber-, der Führungs- oder der Familienstruktur wandelt und nach anderen Lösungen verlangt. Kurzum: Das 3-Kreis-Modell ist ein großartiges Instrument, weil es hilft, die Teilsysteme Familie, Inhaberschaft und Management im Familienunternehmen besser auszubalancieren und zu sich gegen- seitig stützenden Pfeilern des Gesamtsystems Familienunternehmen zu machen.
Familyness als Systemvorteil
Je nachdem, wie gut es der Inhaberfamilie gelingt, die sich aus der Systemkonkurrenz ergebenden Herausforderungen zu beherrschen, kann sich die familiäre Inhaberschaft als Vorteil oder als Nachteil für ein Familienunternehmen auswirken. Corinne Mühlebach hat in einer viel beachteten Dissertation an der Hochschule St. Gallen umfassend dargelegt, wie sich die Ressourcen familiärer Inhaberschaft in Wettbewerbsvorteile ummünzen lassen. Jede Familie verfügt über eine Vielzahl von Fähigkeiten, die sie als dominanter Inhaber nutzbringend für ihr Unter- nehmen einsetzen kann. Sie kann dem Unternehmen das so dringend benötigte Kapital und Know-how zur Verfügung stellen. Mehr noch: Starke Familien besitzen eine unverwechselbare Kultur, die Grundlage für eine ebenso unverwechselbare Unternehmenskultur werden kann. Als identifizierbare Inhaber bieten sie ein Identifikationspotenzial, das sie zum Wohle des Unternehmens einsetzen können. Mit diesem Pfund lässt sich wuchern. Die bayerische Brauerei Schneider etwa kapitalisiert ihre Familyness ganz bewusst. Auf den Untersetzern für ihr Weizenbier findet sich nicht nur ein Porträt des Firmengründers Georg Schneider. Auf der Rückseite teilt die Brauerei ihren Kunden unter der Überschrift „Der Märchenkönig“ auch selbstbewusst mit: „Ohne Georg I. Schneider und die Verleihung der Braurechte durch König Ludwig II. säßen Sie jetzt nicht vor diesem Bier. Seit 1872 brauen wir es nach dem Originalrezept. Und setzen auch die Tradition fort, dass auf einen Georg der nächste folgt. Und solange Georg VII. noch klein ist, darf man ihn ruhig „Schorschi“ rufen. Jeder Schneider hat mal klein angefangen.“
Familiäre Konflikte als systembedingte Herausforderung
Doch entsprechen längst nicht alle Unternehmerfamilien dem Idealbild. In vielen Familien sind Neid, Eifersucht und Missgunst an der Tagesordnung. Nur wenige verhalten sich bei dem Bemühen, familiäre und unternehmerische Anforderungen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, wirklich professionell. Oft genug wird das Unternehmen zur Spielwiese familiärer Konflikte, die ihren Ursprung schon in früher Kindheit haben. Aus dem Duell im Sandkasten wird dann ein handfester Streit um Geld, Macht und Erbe auf Unternehmensebene. Der Journalist Hans Otto Eglau hat eine beeindruckende Sammlung berühmter Streitfälle zusammengetragen. Schon die Überschriften verraten, worum es geht: „Die Nachfolge und viele offene Rechnungen“, „Die schwere Last der Überväter“, „Wie viele Kapitäne verträgt ein Schiff?“ oder „Wenn Unternehmer nicht abtreten können“, heißt es da unter anderem. Grant Gordon vom Institute for Family Business und Nigel Nicholson, Professor an der London Business School, haben Eglaus Buch unlängst um eine Sammlung großer internationaler Streitfälle ergänzt.
Dazu gehört auch die Geschichte der Familie Gucci, an deren Ende nach einem kometenhaften Aufstieg Mord und Totschlag standen. 1921 gründete der Sattlermeister Guccio Gucci in Florenz eine kleine Werkstatt. Sein Geschick und sein sicherer Geschmack machten das Unternehmen rasch erfolgreich. Bald eröffnete Gucci Filialen in ganz Italien und verkaufte mit großem Erfolg hochwertige Gürtel, Taschen und Tücher. Die zweite Generation setzte die Erfolgsstory fort, internationalisierte das Unternehmen und entwickelte Gucci zur weltweit führenden Luxusmarke. In der dritten Generation aber wendete sich das Blatt. Die Erben stritten darum, in welche Richtung das Geschäft weiterentwickelt werden sollte. Dabei sollen sie nicht zimperlich gewesen sein. Chronisten zufolge „bewarfen sich die Enkel des legendären Guccio Gucci bei ihren Vorstandssitzungen im Florentiner Stammhaus mit Aschenbechern und Blumenvasen und gingen mit Stühlen aufeinander los, bis Blut floss.“ Als bekannt wurde, dass Gründerenkel Maurizio sich mit gefälschten Unterschriften die Aktienmehrheit am Unternehmen gesichert hatte, musste er in die Schweiz fliehen. Im darauffolgenden Jahr verkauften sein Onkel und dessen Söhne ihre Anteile an arabische Investoren. Diese setzten Maurizio zwar noch einmal als Geschäftsführer ein, das Ende des Gucci-Clans aber war nicht mehr aufzuhalten. Und es sollte noch schlimmer kommen. Zwei Jahre nachdem auch die letzten Anteile des in die Krise geratenen Unternehmens an die arabischen Mitgesellschafter übergegangen waren, wurde Maurizio Gucci am 27. Mai 1995 im Auftrag seiner Exfrau von einem Profikiller niedergeschossen.
Die Guccis sind vielleicht ein besonders tragischer, aber beileibe kein Einzelfall. Neid, Eifersucht und Missgunst sowie der Streit um Geld, Macht und Liebe sind das Bermudadreieck, in dem viele Familienunternehmen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Ob es uns gefällt oder nicht: Streit in der Inhaberfamilie ist nach Ansicht von Experten der größte Wertvernichter im Familienunternehmen. Dennoch: Jede Familie hat es selbst in der Hand, ob sie die Vorteile familiärer Inhaberschaft entwickeln und positive Familyness ausspielen oder sich mit den Nachteilen des NEM-Virus aus Neid, Eifersucht und Missgunst herumschlagen will. Instrumente dazu gibt es genug. Man muss sie nur anzuwenden wissen.
Begrenzte Ressourcen als systembedingte Herausforderung
Als Folge der familiären Inhaberschaft sehen sich Familienunternehmen noch mit einer weiteren systemimmanenten Herausforderung konfrontiert. Solange die dominierende Inhaberstellung der Familie aufrechterhalten bleiben soll, ist das Unternehmen auf die finanziellen Ressourcen angewiesen, die ihm von der Inhaberfamilie zur Verfügung gestellt werden. Diese sind naturgemäß begrenzt und speisen sich vornehmlich aus Gewinnverzichten der Inhaber. Die Möglichkeiten des Kapital- marktes kann ein Familienunternehmen mit Blick auf die angestrebte Perpetuierung der Familiendominanz nur begrenzt nutzen. Zwar stellt der Kapitalmarkt durchaus familienfreundliche Instrumente zur Verfügung. Irgendwann aber sind alle Instrumente erschöpft, und die Inhaberfamilie sieht sich vor die Wahl gestellt, entweder den dominanten Familieneinfluss aufzugeben oder auf eine weitere Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zu verzichten. Wie man es auch dreht und wendet: Als Folge der aus dem Willen zur dominanten Inhaberschaft resultierenden Beschränkung müssen Familienunternehmen ihren Erfolg mit begrenzten Ressourcen suchen. Dies verlangt andere Strategien als bei der Führung einer Publikumsgesellschaft. Ein Nachteil muss dies nicht unbedingt sein. Das belegen die Erfolgsgeschichten der zahlreichen Familienunternehmen, die es ungeachtet ihrer begrenzten finanziellen Ressourcen zu beachtlichen Erfolgen gebracht haben.
Chancen und Herausforderungen eines generationenübergreifenden Unternehmerverständnisses
Vom Denken in Generationen
Auch das dritte Begriffsmerkmal, das generationenübergreifende Untenehmerverständnis, begründet systemimmanente Vorzüge ebenso wie spezifische Herausforderungen für Familienunternehmen. Deren Inhaber denken in langen Zyklen. „Familienunternehmer pflanzen Bäume, die ihren Gründer überdauern“, hat die Unternehmerin Christiane Underberg diese Haltung vor Jahren in einem Vortrag auf den Punkt gebracht. Familienunternehmer wollen in ihrer Rolle von ihren Kindern und Enkelkindern beerbt werden, und ihre Vorbilder sind nicht so sehr die Inhaber der Top-Positionen in den Hitparaden der Reichen, sondern Alters-Champions wie Houshi, Antinori oder Zötler. Unternehmerdynastien wie die Darmstädter Familie Merck oder die Haniels aus Duisburg, denen es gelingt, unternehmerische Wertsteigerung und eine lange Lebensdauer miteinander zu verbinden, genießen unter ihresgleichen einen besonderen Ruf.
In diesem Sinne beeinflussen sie die ihnen gehörenden Familienunternehmen. Deren Verhaltensweisen unterscheiden sich infolge dessen signifikant von denen anderer Organisationsformen unternehmerischen Handelns. Publikumsgesellschaften sind den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalmarktes unterworfen, und der verlangt kurzfristig realisierbare Kurssteigerungen. Für Unternehmen unter der Kontrolle von Finanzinvestoren gilt nichts anderes. Auch Private-Equity-Gesellschaften und Hedgefonds erwarten im Interesse ihrer Anleger einen hohen Re- turn auf das eingesetzte Kapital, und das in möglichst kurzer Zeit. In diesem Sinne schaffen sie Unternehmenskulturen und Governance-Systeme, lassen Unternehmens- und Finanzierungsstrategien verfolgen und bringen Menschen in die maßgeblichen Entscheidungspositionen, die ihnen helfen, ihre Zielsetzungen zu erreichen. Für die Inhaber von Familienunternehmen gilt das Gleiche, nur dass die Zielsetzung hier nicht in der kurzfristigen Optimierung des Shareholder-Value, sondern in der langfristigen Sicherung des Unternehmens in Familienhand besteht.
Diese Haltung findet mal mehr, mal weniger Zuspruch. Wegen der Krise des Casino-Kapitalismus stehen die Familienunternehmen aktuell wieder hoch im Kurs. Die Journalistin Inga Michler spricht in ihrem 2009 erschienenen Buch Wirtschaftswunder 2010 – Deutschlands Familienunternehmer erobern die Weltmärkte vielen aus der Seele, wenn sie feststellt: „Im Wettbewerb der Systeme haben die Familienunternehmen … nicht nur ihren Platz behauptet. Sie sind zum Vorbild geworden. … Deutschlands Familienunternehmen haben die historische Chance, einen nachhaltigen Wertewandel in der Wirtschaftswelt zu begründen. … Tradition macht gelassen, auch gegenüber den Moden in der Organisations- und Managementlehre.“
Kontinuität als Systemvorteil
In der Tat hat die Langfristorientierung viele Vorteile für ein Unternehmen. Sie ermöglicht den Aufbau nachhaltiger strategischer Erfolgspositionen – eine Arbeit, die nach dem St. Gallener Managementlehrer Cuno Pümpin fünf, zehn oder noch mehr Jahre beansprucht.
Weil Familienunternehmen einer Generationenkontinuität verpflichtet sind, müssen sie zudem daran interessiert sein, langfristig belastbare Beziehungen zu ihren wichtigsten Stakeholdern aufzubauen. Mitarbeiter, die sich nicht nur als Kostenfaktoren, sondern als Menschen wahrgenommen fühlen, erwidern die ihnen entgegengebrachte Wertschätzung und Loyalität mit gleicher Münze. Die in vielen Familienunternehmen anzutreffende Idee einer Betriebsfamilie, die auch die Mitarbeiter und deren Familien einschließt, ist die Basis für eine Unternehmenskultur, die sich in überlegener Leistung niederschlägt. Grundlage dieses Wettbewerbsvorteils ist kapitalisiertes Vertrauen. Dessen Aufbau wirkt umso stärker, je länger derjenige, der vertraut, sich in seiner Erwartung bestätigt sieht, dass der andere sich entsprechend der von ihm gesetzten Erwartung verhält. Eine langfristige und kontinuierliche Unternehmenspolitik ist da von Vorteil.
Kontinuität in der Inhaberschaft vermag diesen Vorteil zu begründen und abzusichern. Erst recht, wenn sie durch Kontinuität in der Führung untermauert wird. Deshalb wird es zu Recht als systemimmanenter Vorzug der Familienunternehmen angesehen, dass die Amtszeit eines Geschäftsführers in einem Familienunternehmen in der Regel etwa 20 Jahre beträgt, während sie bei Publikumsgesellschaften auf unter fünf Jahre abgesunken ist. Hermann Simon bestätigt dies in seinem Buch Hidden Champions des 21. Jahrhunderts ausdrücklich: „Kontinuität ist … eine unverzichtbare Bedingung für dauerhaften Erfolg. In Verbindung mit Ausdauer kann sie zur Weltmarktführerschaft führen.“
Der Lebenszyklus als systembedingte Herausforderung
Ihre langfristige Orientierung setzt Familienunternehmen aber auch einer besonderen Herausforderung aus. Wer lange leben will, gerät früher oder später mit dem Gesetz des Lebenszyklus in Konflikt. Das Naturgesetz vom Entstehen, Wachsen, Reifen und Vergehen gilt nämlich nicht nur für biologische Systeme, sondern auch für Kulturen und Staaten. Und für Unternehmen.
Das Wissen um die dabei wirksamen Zusammenhänge verdanken wir vor allem drei großen Denkern. So basiert die Erkenntnis, dass Fortschritt selten durch Revolution, sondern viel häufiger auf evolutionärem Wege stattfindet, auf den bahnbrechenden Arbeiten des Briten Charles Darwin zur Evolutionstheorie. Nach Darwin handelt es sich bei der Evolution um einen permanenten Ausleseprozess, bei dem diejenigen gewinnen, die am besten in der Lage sind, sich den jeweiligen Umweltbedingungen anzupassen.
Adam Smith hat in seinem Monumentalwerk über den „Wohlstand der Nationen“ deutlich gemacht, dass in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung der Markt die für Unternehmen maßgebliche Umwelt darstellt. An diesen und seine immerwährende Veränderung gelte es sich anzupassen, wie Smith in einem oft zitierten Gleichnis deutlich macht: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Damit hatte Smith ausgesprochen, worauf sich jeder Unternehmer einstellen muss, wenn er überleben will – auf seine Wettbewerber und auf die Befriedigung seiner Kunden. Überlegenheit auf diesem Gebiet bildet das maßgebliche Auslesekriterium im evolutionären Prozess der kapitalistischen Marktwirtschaft.
Und Joseph Schumpeter hat uns gelehrt, warum kapitalistisches Wirtschaften unter Marktgesetzen zwangsläufig mit Aufstieg und Niedergang verbunden sein muss. In einer auf Wettbewerb gegründeten Gesellschaft kann es kein stabiles Gleichgewicht geben. Wer unten ist, will nach oben und muss dazu diejenigen verdrängen, die an der Spitze stehen. „Dieses Steigen stellt den wichtigsten Antrieb in der kapitalistischen Welt dar“, schreibt Schumpeter in seinem Grundlagenwerk über die Theorie der marktwirtschaftlichen Entwicklung. „Weil es im Weg des Niederkonkurrierens alter Betriebe vor sich geht …, entspricht ihm immer ein Prozess des Sinkens, der Deklassierung, der Eliminierung.“ Das Mittel, den Aufstieg zu bewerkstelligen, sieht Schumpeter in einer auf Innovation gegründeten schöpferischen Zerstörung. Kein Unternehmen könne seine Stellung an der Spitze einer Branche je behaupten, „ohne stets Neues aus ihr [der Unternehmung] zu machen und ihr mit allen Fasern ihrer Nerven zu leben.“ Mit Blick auf den Aufstieg und Fall erfolgreicher Familienunternehmen im 19. Jahrhundert kommt Schumpeter zu dem Schluss, dass Unternehmen, die sich auf Routine beschränken, schon bald von offensiver agierenden, risikofreudigeren Wettbewerbern mit frischen Ideen verdrängt werden. Der amerikanische Managementlehrer Michael Porter hat in seiner berühmten 5-Forces- Theorie die Bedrohung durch neue, bessere Produkte und Dienstleistungen folgerichtig als eine der maßgeblichen Kräfte im Wettbewerb behandelt. Und Cuno Pümpin hat gemeinsam mit seinem Kollegen Jürgen Prange in einer leider viel zu wenig beachteten Abhandlung dar- gestellt, dass Unternehmen neben der Bedrohung von außen auch einem internen Lebenszyklus unterliegen.
Das Ergebnis ist eindeutig. Der Lebenszyklus, das Gesetz von Entstehen, Wachsen, Reifen und Vergehen, beherrscht unsere marktwirtschaftlich-kapitalistische Wirtschaftsordnung. Niemand darf darauf vertrauen, dass ein heute stabiler Markt nicht schon morgen im Niedergang begriffen ist. Zwar gibt es Märkte mit längeren und solche mit kürzeren Lebenszyklen, verschwinden oder sich nachhaltig verändern werden sie früher oder später alle. Auch darf niemand darauf vertrauen, dass ein Unternehmen, das heute erfolgreich ist, nicht morgen schon von der Spitze verdrängt wird. Wer oben ist, muss nicht oben bleiben. Der Markt ist ein Ausscheidungsrennen, bei dem in unregelmäßigen Abständen die Wettbewerber auf den hinteren Plätzen aus dem Rennen genommen werden. Dynastisch denkende Familienunternehmer stellt dies vor eine große Herausforderung. Aber es markiert auch eine eindeutige Aufgabenstellung für die Inhaber und das Management dieser Unternehmen: Was müssen wir tun, um den externen und internen Herausforderungen des Lebenszyklus wirksam zu begegnen und das Überleben unseres Unternehmens langfristig zu sichern? Eine dynastisch orientierte Inhaberfamilie muss eine Antwort auf die Frage finden, wie sie ihr Unter- nehmen wirksam gegen die aus dem Lebenszyklus folgenden Risiken der Marktentwicklung schützen kann. Ebenso muss sie die Frage beantworten, wie sie den internen Reifeprozess des Unternehmens stoppen und den Willen zur schöpferischen Zerstörung in Führung und Organisation aufrechterhalten kann. Zu guter Letzt geht es darum, dem von Thomas Mann in seinen Buddenbrooks beschriebenen Niedergang des Unternehmergeistes innerhalb der Inhaberfamilie wirksam entgegenzutreten. Unmöglich ist das nicht. Dafür stehen all die Familienunternehmen, die auf eine über hundert- oder gar mehrhundertjährige Erfolgsgeschichte zurückblicken können.
Fazit
Halten wir fest: Familienunternehmen unterscheiden sich von anderen Organisationsformen unternehmerischen Wirtschaftens. Maßgebliches Unterscheidungskriterium dabei ist die Inhaberschaft. Diese ist im Familienunternehmen durch die dominante Inhaberstellung einer Familie mit einem generationenübergreifenden Unternehmerverständnis gekennzeichnet.
Aus den drei Begriffsmerkmalen ergeben sich jeweils systemspezifische Vorteile und Herausforderungen. Aus der dominanten Inhaberschaft resultiert eine höhere Übereinstimmung von Inhabern und Unternehmensführung mit entsprechend positiven Folgen ebenso wie die Gefahr des Machtmissbrauchs durch unfähige oder willkürlich handelnde Inhaber. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Familie handelt, kann dem Unternehmen positive Familyness oder familiäre Streitigkeiten um Geld, Macht und Erbe bescheren. Und sie zwingt das Unternehmen, seinen Erfolg mit den begrenzten Ressourcen zu suchen, die die Inhaberfamilie zur Verfügung stellen kann und will. Der generationen- übergreifende Ansatz schließlich erlaubt dem Unternehmen, jene Vorzüge auszuspielen, die sich aus seiner langfristigen Orientierung und der mit ihr verbundenen Kontinuität ergeben. Aber er setzt das Unternehmen auch den Risiken aus, die aus dem Lebenszyklus von Märkten und Produkten, Unternehmen und Familien resultieren. Familienunternehmen stehen vor spezifischen, teilweise andersartigen Herausforderungen als Unternehmen mit einer abweichenden Inhaberstruktur. Und es liegt an jeder einzelnen Inhaberfamilie, ob sich die abstrakt-generellen Vorzüge und Herausforderungen in ihrer Hand in individuelle Stärken oder Schwächen verwandeln.