(Wie) Ist die Unternehmensnachfolge planbar?

Für die Festschrift zu Peter Mays 60. Geburtstag „Familienunternehmen gestern - heute - morgen“ hat Dr. Arno Lehmann-Tolkmitt zusammengefasst, wie sich neue Rahmenbedingungen auf die Nachfolge im Familienunternehmen auswirken.

Arno Lehmann-Tolkmitt

 

 

Ist Planung überhaupt noch sinnvoll?

In einer Zeit wie heute, in der sich so vieles so schnell wandelt, ändern sich auch die Rahmenbedingungen für die Nachfolge immer schneller. Deshalb muss eine bestehende Nachfolgeplanung häufiger überprüft und eine anstehende Nachfolgeplanung von vornherein flexibler gestaltet werden. Denn wenn wir das Unternehmen des 21. Jahrhunderts führen, sollte auch die Methodik der Nachfolgeplanung nicht aus vergangenen Zeiten stammen.

Wenn es aber für die Unternehmensführung schwerer wird, das nächste Geschäftsjahr zu überblicken, wie kann dann die Familie den fernen Generationsübergang sichern? Es gibt also gute Gründe, die Nachfolgeplanung regelmäßig in Frage zu stellen.

Wir können heute nicht sagen, was übermorgen für die Führung eines Unternehmens wichtig sein wird. Durch die Digitalisierung ändern sich nicht nur die Geschäftsmodelle rasant, sondern auch die Anforderungen an die Führungskräfte von morgen. Und die zunehmenden Möglichkeiten erschweren die Entscheidungen über die richtige Vorbereitung eines potenziellen Nachfolgers eher, als dass sie diese erleichtern.

Heute gibt es so viele Studiengänge, dass ein Abiturient das Angebot nicht mehr überblicken kann. Und zusätzlich werden die Entscheidungen über die Nachfolge heute ganz anders getroffen als noch vor einer Generation. Statt einer patriarchalischen Entscheidung über den richtigen Nachfolger versuchen alle Beteiligten einen Konsens zu finden. Zusätzlich möchten Unternehmereltern Druck und Erwartung von ihren Kindern nehmen. Diese Dynamiken auf der Unternehmensseite einerseits und in der Familie andererseits machen die Nachfolgeplanung so komplex.

Seit 15 Jahren begleite ich Familien, Senioren und Junioren bei diesen Überlegungen. Rückblickend muss ich – etwas zugespitzt – feststellen, dass kaum eine Nachfolge exakt nach einem einst aufgestellten Plan abgelaufen ist. Und man darf sicher zu Recht fragen: Empfiehlt es sich vor diesem Hintergrund überhaupt, die Nachfolge zu planen?

 

Besser Fehler machen als gar nicht planen

Trotz der gestiegenen Komplexität der Rahmenbedingungen müssen nach wie vor Entscheidungen für die Zukunft des Unternehmens getroffen werden, denn die Nachfolge ist vielleicht der einzige planbare Wandel im Unternehmen. Und wenn die Unternehmerfamilie den Fortbestand des Familienunternehmens wünscht, dann sollte sie sich darüber Gedanken machen. Dabei kann es nicht das Ziel der Planung sein, eine Entscheidung zu erzwingen oder sie sicher vorherzusagen. Eine Planung dient vielmehr dazu, eine künftige Entscheidung zu ermöglichen und sie bestenfalls zu verbessern.

Bei jeder Planung werden Fehler gemacht, da sie mit Annahmen über die Zukunft arbeiten muss. Planungen deshalb zu unterlassen wäre allerdings ein weitaus größerer Fehler. Zumeist verbessert bereits die Planung vieles und trägt maßgeblich zum Gelingen bei.

 

Nachfolgeplanung ist Lebensplanung

Bei der Planung der Unternehmensnachfolge geht es um die persönlichen Bedürfnisse aller Beteiligten, den Abgleich von Erwartungen und um Kommunikation. Die Nachfolge betrifft die Lebensplanung des Übergebenden und Übernehmenden und muss von deren Partnern und Kindern mitgetragen und unterstützt werden. Der Senior sollte an einer neuen Definition seines Lebens außerhalb des Unternehmens arbeiten. Für den Junior fällt die Nachfolge meist in die „Rushhour“ des Lebens, in der oftmals ein Themenbündel von Unternehmensnachfolge, eigener Familienplanung und der Begründung eines eigenen Zuhauses zusammenfallen. Es geht darum, gemeinsam Überlegungen anzustellen, wie man Strukturen vorbereiten kann, wie man Wissen und Fähigkeiten weitergibt und erwirbt, damit Verantwortung übertragen werden kann. Eltern müssen klären, ob sie überhaupt loslassen wollen. Und es geht darum, herauszufinden, ob ein potenzieller Nachfolger die Nachfolge wirklich möchte und inwieweit er oder sie bereit ist, dem Familienunternehmen Vorrang gegenüber der persönlichen Planung einzuräumen. Schon heute in Frage zu stellende Anforderungskataloge – wie etwa geforderte Abschlüsse und so weiter – werden in Zukunft noch weniger Beachtung finden. Fachliches Wissen ist nur einer von vielen Faktoren für die Eignung zur Nachfolge. Entscheidend wird sein, Begeisterung für die Aufgabe zu entfachen, Verantwortung und Führungsqualität zu entwickeln, Konflikte zu entschärfen und den Willen zur (Fort-)Führung zu konkretisieren. Deshalb lohnt eine Planung!

All das miteinander zu besprechen, es zu sortieren, zu gewichten und sich gemeinsame Ziele zu setzen, wird hilfreich sein. Der größte Mehrwert der Planung liegt in der sehr bewussten, strukturierten und meist moderierten Auseinandersetzung mit den Kernfragen. Eine gewisse Systematik sollte diesem Prozess trotz allem Wandel zugrunde liegen. Ein Plan ist letztlich das Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Er sollte dynamisch sein und regelmäßig überprüft werden.

 

Die Rahmenbedingungen jeder Planung

Analyse und typische Konstellationen

Jeder Planung sollte ein klares Bild der Ausgangssituation vorausgehen. Das klingt banal, aber nicht selten ist es hilfreich, wenn übergebende und übernehmende Generation einen gemeinsamen Blick auf die familiäre Konstellation und die Struktur und Situation des Unternehmens werfen und dabei mögliche Veränderungen miteinbeziehen. Was morgen tatsächlich übergeben wird, ist dann meist schon ein anderes Unternehmen. Es kann größer und komplexer sein, andere Produkte herstellen und diese auf neuen Märkten vertreiben, denn Produktion, Vertrieb und Organisation haben sich im Lebenszyklus gewandelt und tun es fortwährend.

Auch die persönliche Situation ist zu analysieren. Kein Junior gleicht dem Senior. Bei aller familiären Ähnlichkeit wird es immer andere Stärken und Schwächen geben. Der Senior hat belegt, was in der Vergangenheit nötig war, um das Unternehmen zu leiten. Für den Junior ist es ratsam, zunächst unabhängig von der bisherigen Führungsrolle der Vorgängergeneration, seine Stärken und Schwächen zu ergründen. Unternehmertum ist schwer messbar und nicht in einzelnen Anlagen zu fassen. Eine Potenzialanalyse kann helfen, dem Selbstbild eine objektive Einschätzung gegenüberzustellen.

Die Übergabeplanung sollte damit beginnen, die künftigen Bedürfnisse des Unternehmens, die bisher zur Führung notwendigen Fähigkeiten und die Potenziale aller denkbaren Nachfolger objektiv zu erfassen. Diese Analyse zeigt oft, dass ein Unternehmen nicht wirklich übergabefähig ist. Dass es weder für den Einstieg noch für den Ausstieg vorbereitet ist. Denn fast alle Strukturen sind jahrelang vom Senior geprägt und gestaltet worden und auf ihn ausgerichtet. Was bisher ein Erfolgsbaustein war, kann bei der Übergabe aber zur Herausforderung werden. Der Senior sollte sich rechtzeitig die Frage stellen, ob die Organisation weiterläuft und von einem fremden Dritten übernommen werden kann, wenn er von „Bord“ gehen wird. Und Gegenmaßnahmen einleiten, wenn er daran Zweifel hat.

Ein Generationswechsel ist auch ein geeigneter Zeitpunkt, um über ganz neue Führungskonstellationen nachzudenken. Nach einem Alleinherrscher folgt oft eine Geschwisterkonstellation, danach Vettern und Cousinen. Häufig gewünschte Modelle sind Thronfolgen, Doppelspitzen oder gemischte Rollen auch mit fremden Geschäftsführern. Manchmal ist die Rolle des Übergebenden auch für die nächste Generation genau die richtige. Wahrscheinlicher ist, dass sich mit dem Übergang auch das System des Unternehmens und die Konstellation innerhalb der Familie verändern werden. Darauf kann die Planung aufsetzen.

 

Ziele

Nach der Analyse der Ausgangssituation ist es wichtig, dass alle Beteiligten die eigenen Ziele formulieren und Schwerpunkte setzen. Denn jeder wird in den Bereichen Familie, Person, Unternehmen und Vermögen eine Vielzahl von Zielen haben. Und damit ist es wahrscheinlich, dass es zu Handlungskonflikten kommt. Also zu Situationen, in denen vermeintlich gleich wichtige Ziele nebeneinander bestehen, diese aber nicht alle gleichzeitig erreicht werden können. Im schlechtesten Fall verhindert das Erreichen des einen Ziels das Erreichen eines anderen Ziels. Die Bedeutung dieser Handlungskonflikte nimmt zu. Ausgelöst durch einen Wertewandel streben Menschen heute nicht mehr alleine nach Leistungszielen, sondern auch nach Freiheit, Zufriedenheit und privatem Glück. Wer diese Konflikte nicht auflöst oder abmildert, wird keine erfolgreiche Nachfolge erwarten können.

Nachfolgen sind deshalb auch voller Paradoxien, also Aussagen (Zielen, Wünschen), die scheinbar oder tatsächlich einen unauflösbaren Widerspruch enthalten („Sei frei, aber übernimm das Unternehmen“). Die Folge: Man springt zwischen den Zielen oder verschiebt sie zeitlich. Jedenfalls erzeugen sie Druck, der letztlich zum Scheitern führen kann. Nachfolgen werden nur erfolgreich sein, wenn zwei wesentliche Kriterien erfüllt sind: Der Fortbestand des Unternehmens als Familienunternehmen ist gewollt, und die durch die Nachfolge eintretenden Veränderungen werden von allen Beteiligten der Familie getragen.

Was tut man also, um Handlungskonflikte und Paradoxien zu vermeiden oder sie wenigstens abzumildern? Im Rahmen der Nachfolgeplanung wird es erforderlich sein, dass die Beteiligten sich in Form von Kompromissen auf gemeinsame Ziele einigen. Diese Ziele werden damit zum Maßstab in der Nachfolgeplanung.

 

Kernfragen

„Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen!“1

Jeder Beteiligte muss für sich beantworten, ob er die Nachfolge will und sich zutraut. Da eine Nachfolge nur gemeinsam gelingen kann, empfiehlt es sich darüber hinaus, mit allen Beteiligten Regeln festzulegen und ein wechselseitiges Commitment abzugeben. Die folgenden vier Kernfragen sind im Rahmen der Planung und in der zeitlichen Abfolge immer wieder neu zu beantworten:

  • Das Wollen: Für den Junior: Will ich Unternehmer sein? Will ich Familienunternehmer sein? Will ich es in diesem Familienunternehmen? Für den Senior: Will ich übergeben? Will ich es an diese(n) Nachfolger übergeben?
  • Das Können: Für den Junior: Kann ich, was nötig ist? Kann ich es lernen? Für den Senior: Kann er/sie/können sie es?
  • Gemeinsame Regeln: Haben wir Kriterien für Fairness? Das heißt Klarheit, wie, wann, von wem und worüber entschieden wird? Und ist das Verfahren transparent?
  • Wechselseitiges Commitment: Ja, so gehen wir es an! Wenn unsere Zwischenziele erreicht werden, wird die Nachfolge so umgesetzt werden (Planbarkeit bedeutet: „Darauf verlasse ich mich“).

 

Wesentliche Eckpunkte der Planung

Grundlogiken

Beginn und zentrales Instrument der Planung ist ein Zeitstrahl. Mit seiner Hilfe werden alle Ungewissheiten in eine zeitliche Abfolge gestreckt. Ausgangspunkt der Überlegung ist die Erkenntnis, dass die Nachfolge keine „1 oder 0“-Entscheidung zu einem festen Zeitpunkt am „Tag X“ sein sollte. Ein Plan hilft, den Faktor Zeit zu nutzen:

Die richtigen Schwerpunkte setzen. Es gibt kaum eine Entwicklung, die nicht durch den Faktor Zeit beeinflussbar sein wird. Wichtig ist, die wesentlichen von weniger wichtigen Aspekten zu trennen. Nicht nur die fachlichen Qualifikationen, sondern auch die persönlichen Fähigkeiten der Menschen entwickeln sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dem sollte Rechnung getragen werden. Andererseits sollte die Zeit auch richtig genutzt werden. Ein Zeitplan setzt den Rahmen für den inhaltlichen Plan.

  • Ein Zeitplan gibt Gelegenheit zur Reflexion dessen, was man möchte. Wichtige Entscheidungen sollten sich anbahnen und nicht ad hoc getroffen werden. Es lohnt, sie mehrfach zu überdenken und zu erproben. Ein spontanes „Rein in die Firma“ wird genauso selten für den Junior funktionieren, wie ein spontanes „Raus aus der Firma“ für den Senior. Es wird empfohlen, feste Zeitpunkte zu vereinbaren, um die gemeinsamen Erwartungen erneut abzugleichen. Echte Zäsuren auf dem Zeitstrahl sollten dazu zwingen, die jeweilige Haltung zu den Kernfragen erneut zu beurteilen. Nur wer regelmäßig miteinander kommuniziert, schließt die Lücke zwischen seiner Bewertung und der Bewertung der anderen. Dadurch können Missverständnisse und falsche Erwartungen als Konfliktursachen vermieden werden.
  • Der Zeitplan lässt auch erkennen, welche strukturellen Anpassungen wann notwendig sind. In vielen Fällen hat es geholfen, auch die Altersstruktur der leitenden Mitarbeiter, einschließlich der zweiten Ebene, in der Übersicht zu betrachten. Eine Nachfolge braucht Zeit. Sie sollte einmal von „hinten“, also vom Ziel der künftigen Führungsübergabe her, gedacht und rückwärts geplant werden. Dann wird deutlich, was im nächsten Schritt passieren muss, um für den übernächsten Schritt vorbereitet zu sein. Typischerweise erfolgt eine Nachfolge in drei Phasen. Nach Stationen der Ausbildung erfolgt eine Bewährungszeit, die schließlich in die Übergabe mündet. Nach Abschluss der Schulbildung vergehen sicherlich acht bis zehn Jahre, bevor eine Führungsposition auch verantwortlich ausgefüllt werden kann.

 

Entwicklungs-Stufen-Plan

Man wird nicht den gesamten Zeitraum detailliert planen können. Es empfiehlt sich, die drei Phasen wiederum in einzelne Stufen zu unterteilen. Die jeweils nächsten ein bis zwei Jahre kann man meistens konkret überblicken und gestalten. Hierbei gilt es, zu beachten:

  • Eine Station sollte klare Ziele haben, deren Erreichung messbar ist. Nur so können der Junior und alle anderen Beteiligten über die Richtigkeit des gemeinsamen Weges reflektieren. Dabei kann ein Erfolg Sicherheit und Zutrauen geben. Aber auch die Gründe eines Misserfolgs klar zu erkennen birgt Chancen. Viele theoretische Erwartungen müssen sich in der Praxis erst erfüllen. Auch Misserfolge können lehrreich sein. Es gilt, Umsatz- und Personalverantwortung zu übernehmen.
  • Das wird Konsequenzen für die konkrete Planung der nächsten Stufe mit sich bringen. Daher empfiehlt sich nach jeder Stufe eine Überprüfung des nächsten Schrittes.
  • In der Praxis werden die Ziele der einzelnen Stufen in der Regel schneller erreicht und ein rasches Vorankommen gewünscht. Das ist kein Problem, solange nicht sinnvolle Stufen einfach übersprungen werden.
  • Für die Frage, ob und wie viele Stufen im eigenen Unternehmen oder „extern“ absolviert werden sollten, gibt es keine Empfehlung. In der Praxis sind beide Wege denkbar. Glaubt man aber den Berichten von Nachfolgern, die bereits in der Führung sind, so waren ihre externen Stationen die wertvollsten.
  • Schließlich sollte die Work-Life-Balance nicht ignoriert werden. Das heißt nicht, dass man sich seine Position entlang der privaten Bedürfnisse „einstellen“ oder gar schaffen sollte. Hier bleibt der Drittvergleich der richtige Maßstab. Das gilt für die Anforderungen an die Einstellung (keine Stellen schaffen!) ebenso wie für die Anforderungen an die Tätigkeit (Arbeitszeiten, Vergütung und so weiter). Ein ambitionierter Nachfolger wird ohnehin an sich selbst einen höheren Anspruch stellen. In diesem Kontext sei auf die besondere Herausforderung für Töchter in der Nachfolge hingewiesen, wenn sie zeitgleich eine Familie gründen wollen. Die Praxis zeigt in vielen Fällen, dass es möglich ist. Aber die doppelte Herausforderung bleibt ein Thema. Vielleicht ist die junge Mutter die beste Führungskraft, die man sich wünschen kann, aber auch in der Rolle als Mutter wird sie gefordert sein. Sie wird vielleicht für eine Übergangsphase keine Vollzeit-Geschäftsführung leisten können und dies auch nicht wollen. Solange dies allen Beteiligten klar ist und akzeptiert wird, lassen sich Lösungen finden.

 

Einstieg des Juniors und Ausstieg des Seniors

Ein Zeitstrahl und Stufenplan empfiehlt sich für alle Beteiligten. Für mehrere Aspiranten aus der nächsten Generation ebenso wie für den Senior. Beim Einstieg und Ausstieg gibt es zusätzliche Empfehlungen.

Die Einstiegsposition sollte mit Bedacht gewählt werden. Sehr häufig steigen Junioren zu früh und „zu weit oben“ ein. Der Assistent der Geschäftsführung ist eine beliebte Position, die sicher auch Vorteile mit sich bringt, es macht aber Sinn, gerade für diese Position konkrete Anforderungen zu definieren. Als weiterer Grundsatz kann gelten: Es ist einfach einzusteigen, aber ungleich schwerer, wieder auszusteigen. Wer seine gesamte Laufbahn von Anfang an im Unternehmen verbracht hat, wird sich im Fall des Ausstiegs auf dem Arbeitsmarkt schwertun – gerade dann, wenn das Ausscheiden kein freiwilliger Entschluss war.

Ebenso wie der Einstieg ist allerdings auch der Ausstieg planbar. Es lohnt, auch diesen zu konkretisieren. Der Senior wird für sich und Dritten gegenüber klären müssen, ob ihm ein festes Ausstiegsdatum hilft. Auf jeden Fall steckt darin eine Selbstbindung. Ein fixer Zeitpunkt gibt Orientierung, und eine Verschiebung des Zeitpunktes sollte sachlich und hinreichend begründet werden. Die meisten Senioren unterschätzen, was es bedeutet, loszulassen. Und wenn sie ehrlich wären, würden sie sich eingestehen, dass ein Unternehmer nicht aufhört, Unternehmer zu sein, trotz aller Alters- und Freizeitpläne. Es ist besser, wenn dies erkannt und dann besprochen wird, wie etwa eine unternehmerische Aufgabe auch für die Zeit nach der operativen Geschäftsführung gefunden werden kann. Es gibt Senioren, denen es gelingt, von einem auf den anderen Tag in den nächsten Lebensabschnitt zu wechseln. Sie sehnen sich häufig danach und fangen früh an, diesen zu planen. Und es gibt Senioren, die sich nicht festlegen wollen. Für sie empfiehlt es sich, einen stufenweisen Ausstieg zu planen. Wem es gelingt, einen Homeoffice-Tag einzuführen, der wird im nächsten Schritt auch längere Abwesenheiten aushalten.

Der Ausstieg wird umso leichter fallen können, wenn der Junior zeitgleich die Führung übernimmt. Viele Unternehmer sind von der Idee dieser direkten Übergabe beseelt. Sie wollen ihre Kinder möglichst lange begleiten und selbst auf die Aufgabe vorbereiten. In der Praxis ist eine langfristige harmonische Zusammenarbeit aber eher die Ausnahme. Eine Übergabezeit sollte deshalb in der Regel nach zwei Jahren enden.

Diese zeitliche Begrenzung führt aber zu einem häufig anzutreffenden Problem: Weil der Ausstieg naht, wird der Junior zu früh und zu schnell in die Führung gezogen. Anstatt diesen Weg einzuschlagen, sollte man sich fragen, ob eine direkte Übergabe überhaupt sinnvoll erscheint. Wenn nicht, ist es professioneller, wenn dem Ausstieg des Seniors eine Zwischenphase durch externe Geschäftsführer folgt, bevor dann die Nachkommen die Verantwortung übernehmen.

 

Umsetzung, Begleitung und Anpassung

Der wichtigste Teil des Nachfolgeprozesses ist die Umsetzung der geplanten Nachfolge. Dies erfordert Mut von allen Beteiligten und die Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen. Wenn es gelingt, die Vorhaben auch in die Praxis zu bringen, wird die Nachfolge auch die Sicherheit bekommen, die eingeplant wurde. Es ist immer besser, einen Plan neu zu bewerten und anzupassen, als ihn zu ignorieren. Die Nachfolge ist ein Prozess, und der Plan sollte dazu die Leitlinie darstellen. Er ist der Anfang einer regelmäßigen Auseinandersetzung über die Kernfragen.

In vielen Nachfolgekonstellationen hilft es auch, einige Umgangsregeln miteinander zu vereinbaren. Regeln werden ein Fehlverhalten nicht verhindern, es aber adressierbar machen. Wenn sich beide Seiten auf gemeinsame Spielregeln festgelegt haben, gilt es, diese zu beachten. Der nachhaltige Verstoß einer Seite sollte daher Konsequenzen haben. Für den Junior bedeutet dies allerdings, dass er auch stets einen glaubhaften „Plan B“ haben sollte. Das befreit nicht nur in der Wahrnehmung seiner Rolle, es kann auch im richtigen Moment dazu führen, dass sich die Verhaltensmuster aller Beteiligten doch noch rechtzeitig verändern. Denn der Ausstieg des Nachfolgers ist zumeist die schlechtere Variante als der eigene Ausstieg.

Für die Junioren ist zentral, dass sie neben ihrem Einstieg (und dem Ausstieg des Seniors) auch ihre eigene „Führungsmannschaft“ finden oder aufbauen. Kein Unternehmen kann alleine geführt werden, und in der richtigen Teamkonstellation liegt eine Chance, die nicht vertan werden sollte. Dabei empfiehlt sich eine gute Mischung aus alten Vertrauten und neuen Verbündeten.

 

Fazit

„Ich kann, weil ich will, was ich muss ...“2

Eine erfolgreiche Nachfolge beruht auf der eigenen Überzeugung und dem Zutrauen der anderen Beteiligten. Beides muss wachsen, und die Schritte dorthin können miteinander besprochen werden. Der Startschuss für den Prozess ist eine Planung. Nicht im Sinne eines starren Anforderungskatalogs, sondern unter Berücksichtigung der Notwendigkeiten des Unternehmens, der Fähigkeiten der Nachfolger und der Bereitschaft des Übergebenden zur Nachfolge.

Die Nachfolge ist ein dynamischer Prozess, der begleitet werden kann – auch durch einen vertrauensvollen Beirat, einen externen und/oder internen Mentor oder den Erfahrungsaustausch mit anderen Übergebenden oder Nachfolgern. Durch einen Plan ist noch kein Ergebnis gesichert, aber ein Weg aufgezeigt. Sie sollten sich aufmachen.


Anmerkungen
1 Giuseppe Mazzini, italienischer Jurist und Freiheitskämpfer (1805–1872).
2 Immanuel Kant zugeschrieben.

 

veröffentlicht in: Familienunternehmen gestern - heute - morgen. Festschrift für Peter May, herausgegeben von Karin Ebel, Karin May, Sabine Rau und Reinhard Zinkann (Hrsg.) | 2018 | Murmann Verlag