
Mit „Vermögensverfassung“ rechtzeitig gegensteuern
„Wie ist die Entnahmepolitik in Ihrem Familienunternehmen geregelt?“ Diese Frage stellen wir häufig im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit Unternehmerfamilien, wenn wir mit ihnen eine Inhaberstrategie erarbeiten, die wir anschließend meist in einer Familienverfassung verschriftlichen. Eine Antwort, die wir zunächst regelmäßig hören: „Also, mein Vater hat einfach immer so viel entnommen, wie er gebraucht hat. Das haben wir Geschwister dann so übernommen. Wir entscheiden letztlich jedes Jahr neu, von Fall zu Fall. Meist thesaurieren wir ohnehin fast alles.“
Keine gute Idee! Die nachvollziehbare, planbare und damit transparente Regelung der Ausschüttungsfrage ist ein zentraler Punkt, wenn Familien sich für die Zukunft robust aufstellen möchten. Das gilt ganz besonders bei wachsenden, heterogener werdenden Gesellschafterkreisen und zugleich komplexer werdenden transformativen Geschäftsmodellen. Das Fehlen einer gemeinsamen Regelung führt in vielen Familien zu Streit. Und Streit ist der größte Wertvernichter! Dabei unterscheiden wir in den Diskussionen stets zwischen dem im Kernunternehmen gebundenen Vermögen und dem dort nicht gebundenen „sonstigen“ Familienvermögen.
Am Gesundheitszustand der Firma orientiert
Wie viel kann überhaupt, soll, muss oder darf entnommen werden? Die Entscheidungen sollten zunächst immer auf der Grundlage eines klaren Verständnisses der betriebswirtschaftlichen Ausgangslage getroffen werden. Wenn wir davon ausgehen, dass der langfristige Erhalt des Familienunternehmens oberste Priorität hat, dann sollte sich eine moderate Entnahmeregelung für die im Unternehmen erwirtschafteten Gewinne zwingend am Gesundheitszustand des Unternehmens orientieren. Deshalb entwickeln wir mit den Familien in der Erarbeitung einer Familienverfassung meist eine Ausschüttungslogik, die sich an vorher definierten Parametern orientiert – etwa an der Eigenkapitalquote oder dem Verschuldungsgrad. Ausgeschüttet wird, wenn bestimmte Unternehmenskennzahlen erreicht sind, und dann innerhalb eines zuvor festgelegten Korridors. Wie breit oder eng dieser Korridor ist, hängt von vielen Faktoren ab. Spätestens hier zeigt sich schnell, wenn die Unternehmerfamilie in der Vergangenheit wichtigen inhaberstrategischen Fragen zu wenig Bedeutung beigemessen hat, zum Beispiel bei Fragen
- zu individuellen Lebenswegen und Vermögensbedürfnissen einzelner Familienmitglieder oder
- zur getroffenen Erbschaftssteuervorsorge in den Kleinfamilien.
- zur zentralen Frage, ob die Gesellschafter eine gemeinsame Haltung zum Geschäftsmodell und der Investitionsplanung im Unternehmen teilen
- und ob hier ein gemeinsames Verständnis dafür besteht, inwieweit die finanzielle Kraft im Unternehmen vorhanden ist, sich in der notwendigen Geschwindigkeit an veränderte (technologische) Rahmenbedingungen anzupassen.
Angemessene Verzinsung gesund für Familienfrieden
Die transparente Festlegung einer Ausschüttungslogik ist hierfür entscheidend, schließlich braucht jedes Managementteam eine Planbarkeit der verfügbaren finanziellen Mittel. Meist rate ich davon ab, von der Unternehmensentwicklung abgekoppelte Mindestausschüttungen in festen Euro-Beträgen festzulegen. Ebenso aber rate ich klar davon ab, überhaupt nicht auszuschütten, wie es viele Familienunternehmen noch immer handhaben. Ich bin überzeugt, dass gerade in wachsenden Gesellschafterkreisen und spätestens dann, wenn es auch nicht im Unternehmen aktiv mitwirkende Gesellschafter gibt, ein Interesse an einer angemessenen Verzinsung des „eingesetzten Kapitals“ berechtigt und auch gesund für den Familienfrieden ist und zugleich der Unternehmensführung quantitative Leitplanken als Orientierung gibt. Zudem zwingt es die Gesellschafterfamilie sich mit den verändernden und auf das Unternehmen wirkenden Rahmenbedingungen stärker auseinanderzusetzen.
Bei nicht gebundenem Vermögen wird es sehr komplex
Die Entwicklung einer für das Unternehmen und den Gesellschafterkreis passenden Ausschüttungslogik ist nach unserer Erfahrung durchaus diskussionsintensiv. Aber während hier in der Regel eine sinnvolle konsensuale Lösung gefunden wird, gestaltet sich die Frage nach dem Umgang mit dem nicht im Unternehmen gebundenen Familienvermögen doch etwas komplexer. Und sie lässt sich nicht losgelöst vom Unternehmen beantworten. Zur Vermögenssicherung setzen viele Familien natürlich auf Risikodiversifikation. Doch soll diese Diversifikation durch das Unternehmen erfolgen? Oder soll sie etwa über eine Holding-Struktur oder in einem Family Office erfolgen? Oder doch ganz privat und individuell? Alle Modelle haben Vor- und Nachteile, die es sorgfältig miteinander abzuwägen gilt, so dass auch über das Tabu-Thema Geld transparent gesprochen werden kann.
Hat die Familie beziehungsweise der Gesellschafterkreis beschlossen, das „sonstige nicht im Unternehmen gebundene Vermögen“ langfristig gemeinsam zu managen oder nach einer vorher definierten Investitionsstrategie gemeinsam zu veranlagen, benötigt diese neue unternehmerische Einheit (das „Family Office“) im Prinzip eine eigene Inhaberstrategie. Wir haben viele Familien bei der Erarbeitung einer solchen zugespitzten „Vermögensverfassung“, als Teil der Familienverfassung, begleitet. Auch hier müssen viele Kernfragen klar beantwortet werden. Dazu gehören:
- Wer darf beim neuen Investmentvehikel/Family Office mitmachen? Wer kann Gesellschafter werden und wer Kunde?
- Wie organisieren wir die Mitgliedschaft (Stämme, Pools, juristische Personen)?
- Welche Rechte und Pflichten sind mit dem jeweiligen Status verbunden (inklusive Ausschüttungen und Ausscheiden)?
- Welche Ziele verfolgen wir mit dem gemeinsamen Investmentvehikel?
- Wie beziehungsweise wo wollen wir investiert sein? Mit welchen Renditeerwartungen? Welche Anlagerichtlinien möchten wir uns geben?
- Welche eigenen Strukturen möchten wir aufbauen, welche Dienstleistungen kaufen wir zu?
- Wie organisieren wir Führung und Kontrolle? Welche Anforderungen stellen wir an die Gremien (-mitglieder)?
- Wie sorgen wir für den notwendigen Zusammenhalt und ausreichendes Commitment (Emotional Value)? Wie bilden wir eine nachhaltige Identität und wie sorgen wir für ausrechenden Klebstoff?
- Wie führen wir die Inhaber und die nachfolgenden Generationen (NxG) professionell und geplant an ihre jeweilige Verantwortung heran?
- Was tun wir im Konfliktfall?
- Welche Rollen gibt es? Welche Anforderungen gelten für sie? Und wer entscheidet?
Einsamer-Wolf- oder Rudel-Taktik?
Wenn wir mit Unternehmerfamilien beginnen, all diese Fragen systematisch zu sortieren und zu beantworten, wird schnell klar, dass die Entscheidung für eine gemeinsame eigen-aktive Veranlagung des „sonstigen Vermögens“ im Rahmen eines „Single Family Offices“ ein erhebliches Maß an Engagement und Commitment erfordert. Dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein, bevor sie sich auf diesen Weg begeben. In besonders konfliktbeladenen Familiensituationen raten wir häufig von einer gemeinsamen aktiven Betreuung des „sonstigen Vermögens“ ab. Für manche Familien ist oder war es schon im Kern-Familienunternehmen kompliziert genug, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen. In solchen Fällen sind zusätzliche gemeinsame Vermögensallokationen sicher nicht der beste Weg. Ebenso wenig, wenn mit Blick auf den Generationswechsel schon absehbar ist, dass in der nächsten Generation nur sehr begrenztes Interesse an gemeinsamen Investment-Aktivitäten mit entfernten Cousins oder Cousinen bestehen wird.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei DIE NEWS am 05. März 2025