Zeit für einen Paradigmenwechsel

In seinem KLARTEXT vom 15. März 2021 erklärt Prof. Dr. Peter May, warum unsere Familienunternehmen weiblicher werden müssen.

Klartext

 

Liebe Familienunternehmerinnen, liebe Familienunternehmer!

Vor einigen Wochen war ich beim Handelsblatt zu einer digitalen Podiumsdiskussion eingeladen. Das Thema der Veranstaltung lautete: „Frauen in Familienunternehmen – schafft es der Mittelstand auch ohne Quote?“ Die Moderation war gut, das Podium ausgewogen besetzt und die Diskussion mit dem Publikum angeregt und inspirierend. Dennoch war ich am Ende enttäuscht. Denn das Publikum bestand – bis auf eine Ausnahme – nur aus Frauen. Liebe Geschlechtsgenossen: So geht es nicht! Die Gleichstellung der Geschlechter in Familienunternehmen ist kein Frauenthema. Sie geht uns alle an. Nur wenn Männer und Frauen sich gemeinsam um eine Verbesserung der Verhältnisse bemühen, werden wir schnell etwas erreichen können.

Und das ist dringend nötig. Nach einer Studie der AllBright-Stiftung vom Juni 2020 haben nur 29 der 100 größten Familienunternehmen überhaupt eine Frau im obersten Leitungsgremium. Insgesamt beträgt der Frauenanteil in den Geschäftsführungen gerade einmal 6,9 Prozent. Und es kommt noch schlimmer: In den börsennotierten Familienunternehmen liegt der Prozentsatz bei 10,3, in nichtbörsennotierten Familienunternehmen bei 5,9 und bei Unternehmen, die sich zu 100 Prozent in Familienbesitz befinden, beträgt der Prozentsatz gerade einmal 4,8. Damit sind Deutschlands Familienunternehmen nicht nur schlechter als die anonymen Kapitalgesellschaften, auch im internationalen Vergleich liegen wir zurück, vor allem gegenüber den fortschrittlichen skandinavischen Ländern. Die Botschaft ist verstörend: Je größer der Einfluss der Familie im Unternehmen, desto kleiner der Frauenanteil in der Führung.

Deutschlands Familienunternehmen als größte Männerbastion der Wirtschaft? Das ist nicht nur Wasser auf die Mühlen all derer, die Familienunternehmen per se für konservativ und rückständig halten. Das ist eine Schande, die wir dringend beseitigen müssen. Die Geschichte des bürgerlich-industriellen Zeitalters war auch eine Geschichte der Frauendiskriminierung. Und die Familienunternehmen mit ihrer Verherrlichung des Patriarchats waren in Sachen Emanzipation immer noch ein Stück langsamer als die anderen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Töchter bei der Anteilsübertragung in der Regel komplett übergangen. Und in die Führung durften Frauen lange Zeit nur, wenn „Not am Mann“ war. Die Übernahme der Geschäftsführung galt lange als „natürliches Vorrecht“ der Männer. Selbst heute noch – diesen kleinen Einblick in meine umfassenden Beratererfahrungen gestatten Sie mir – werden Töchter von ihren Vätern häufig nur dann wirklich für die Führungsnachfolge in Betracht gezogen, wenn es einen männlichen Konkurrenten entweder nicht gibt, er erkennbar unqualifiziert ist oder versagt hat. Schauen wir uns die vielen wohlklingenden weiblichen Namen in der Führung deutscher Familienunternehmen ruhig etwas genauer an: Yvonne Bauer, Anna Maria Braun, Antje von Dewitz, Natalie Mekelburger, Nicola Leibinger-Kammüller, Angelique Renkhoff-Mücke, Alexandra Schörghuber, Kim-Eva Wempe – wirklich widerlegt finde ich meine provokante These durch diese Beispiele nicht. ­

­­Es wird höchste Zeit, dass wir das ändern. Viel zu lange schon haben wir Männer Frauen in ihren natürlichen Rechten beschränkt – nicht selten mit abenteuerlichen Argumenten. Genutzt hat es am Ende nichts. Die Geschichte der Emanzipation ist eine Geschichte männlicher Rückzugsgefechte. Dass ausgerechnet die Wirtschaft im Allgemeinen und die Familienunternehmen im Besonderen den letzten Akt dieses Schauspiels dominieren, sollte uns traurig stimmen. Denn wer Frauen diskriminiert, handelt nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch dumm. Längst gibt es klare Belege, dass Frauen keine schlechteren Unternehmerinnen sind als Männer.

Aber es darf uns nicht nur darum gehen, Frauen und Männern gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen zu gewähren. Wir brauchen mehr – wir brauchen einen Paradigmenwechsel unserer Führungskultur. Die Dominanz des testosterongesteuerten Highlanders („Es kann nur einen geben“) war das Erfolgsmodell des Industriezeitalters. In der hochkomplexen Wirklichkeit der Neuzeit braucht es Teams mit unterschiedlichen, einander ergänzenden Fähigkeiten. Wer diesen Paradigmenwechsel verschläft, gefährdet seine Zukunft.

Wie so etwas aussehen könnte, durfte ich erst in der letzten Woche erfahren, als ich Christina Oster-Daum und Javier Gonzalez kennenlernte. Die beiden Familienunternehmer haben in nur zwanzig Jahren mit der Cosnova GmbH ein faszinierendes Kosmetik-Unternehmer aufgebaut, das mit seinen Marken (Essence, Catrice und L.O.V.) in Europa inzwischen mehr Kosmetikprodukte verkauft als die globalen Multis L’Oreal und Coty. Als ich das Ehepaar nach ihrem Erfolgsgeheimnis befragte, kam die Antwort schnell und unprätentiös: „Dass wir so unterschiedlich sind – Mann und Frau, Deutsche und Spanier – und uns dabei so wunderbar ergänzen.“

Lassen Sie uns also gemeinsam aus der Logik des Geschlechterkampfes aussteigen und miteinander die Zukunft gestalten. Und da es immer noch die Männer sind, die an den Schalthebeln der Macht in Familienunternehmen sitzen, sollte diese Revolution auch von ihnen ausgehen. Wir sollten nicht warten, bis wir durch eine Quote gezwungen werden. Wir sollten freiwillig und mutig voranschreiten. Weil gemischte Teams ein Element der Zukunftssicherung für unsere Familienunternehmen sind – erst recht, wenn wir das Thema Diversität nicht nur auf die Genderthematik begrenzen, sondern umfassend verstehen. Männlich und weiblich, alt und jung, mit unterschiedlichem Background, unterschiedlichen Fähigkeiten und unterschiedlichen Persönlichkeiten.

Familienunternehmen haben bekanntlich einen großen Vorteil: Was die Familie will, geschieht – in der Regel sogar ohne Zeitverzug. Wenn unsere Familienunternehmer also erst einmal verstehen, welche Chancen in diversen Führungsteams stecken, können aus Schlusslichtern ganz schnell Vorreiter werden. Nichts weniger wünsche ich mir.


Mit dieser Anregung bin ich für heute mit den besten Grüßen

Ihr Peter May