Liebe Familienunternehmerinnen, liebe Familienunternehmer!
Armin Steuernagel darf stolz auf sich sein. Wenn Spitzenpolitiker wie Armin Laschet und Friedrich Merz (CDU), Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) im Wahljahr zusammenkommen, um sich auf einer Konferenz unisono hinter eine rechtspolitische Idee zu stellen, dann ist das mehr als einfach nur bemerkenswert.
Selten hat eine unternehmenspolitische Idee eine solche Resonanz ausgelöst wie die von dem Start-up-Unternehmer Steuernagel propagierte Gesellschaft in „Verantwortungseigentum“. Wenn Steuernagel Glück hat, wird schon der nächste Bundestag das deutsche Gesellschaftsrecht reformieren und mit der „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV)“ eine neue Rechtsform zur Wahl stellen. Profitieren sollen davon vor allem Unternehmer, die keinen Exit anstreben, sondern sicherstellen wollen, dass ihr Unternehmen auch dann langfristig weiterexistieren und dem Gemeinwohl dienen kann, wenn keine Kinder zur Fortführung bereitstehen.
Was als Modell für Start-up-Unternehmer begann, hat inzwischen auch den „German Mittelstand“ erreicht. 57 Prozent halten Verantwortungseigentum für eine gute Idee und Hunderttausende können sich vorstellen, die neue Rechtsform zu wählen. Nur die Interessenverbände der Familienunternehmer sind skeptisch: „Das stellt unser ganzes bisheriges Gesellschaftsmodell zur Disposition“, befürchtet der Verband „Die Familienunternehmer“. Ähnlich kritisch äußert sich die renommierte „Stiftung Familienunternehmen“. Was also ist dran am „Verantwortungseigentum“?
Zunächst einmal: Ich begrüße die Idee einer Ausweitung des Kreises der privilegiert Begünstigten in der Unternehmensnachfolge uneingeschränkt. Sie stellt keinen Angriff auf unseren deutschen Familienkapitalismus dar – im Gegenteil. Wenn Unternehmer*innen ihre Unternehmen an ihre Kinder weitergeben wollen, können und sollen sie das auch weiterhin tun. Gut geführte Familienunternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – und werden es bleiben. Was aber, wenn Unternehmer*innen erkennen müssen, dass ihre Kinder nicht geeignet oder willens sind, das Unternehmen zu übernehmen? Dann ist es wünschenswert, dass ihnen mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, als das Unternehmen an den Kapitalmarkt zu bringen, es an Finanzinvestoren oder Wettbewerber zu verkaufen oder es an eine gemeinnützige Stiftung zu verschenken. All diese Möglichkeiten sind valide Optionen. Aber sie reichen nicht. Für Unternehmer, die wollen, dass ihre Unternehmen weiterhin im Geiste eines Familienunternehmens geführt werden, aber keine dafür geeignete Familien haben, hält das geltende Recht keine passende Lösung bereit.
Und das ist doppelt schade. Der deutsche Familienkapitalismus mit seiner systemimmanenten Gemeinwohlbindung gehört zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen DNA unseres Landes. Er widersetzt sich der puren Geldlogik des angelsächsischen Kapitalismusverständnisses und es liegt in unser aller Interesse, dafür Sorge zu tragen, dass unser Kapitalismusmodell auch dann überlebt, wenn die Familie als Träger des Modells ausfällt.
Gleichzeitig befindet sich unser Familienbegriff im Wandel. An die Stelle der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer auf Blutsverwandtschaft begründeten Vererbungslogik tritt zunehmend die Idee einer Wahlverwandtschaft: Familie ist, was ich als solche bezeichne. Gerade im Unternehmensbereich hat die Wahlverwandtschaft etwas Bestechendes: Wir könnten an die Tradition des Familienkapitalismus anknüpfen und müssten dafür nur den Kreis der Begünstigten erweitern.
Und genau hier setzt meine Kritik an Armin Steuernagels Modell an: So überzeugend die Idee, so gefährlich ist die Umsetzung. Das Konzept des Verantwortungseigentums weist den bisherigen Träger des deutschen Kapitalismusmodells, die deutschen Familienunternehmer, in die zweite Reihe. Der wirklich gute Kapitalist wird Verantwortungseigentümer, der andere vererbt an seine Kinder oder verkauft an einen Private-Equity-Investor. Ich weiß, dass Armin Steuernagel das nicht intendiert hat, aber die kritische Haltung der Unternehmerverbände hat genau hier ihre berechtigte Grundlage.
Wir brauchen keine neue Rechtsform. Um das von Armin Steuernagel gewünschte Ergebnis zu erreichen, reichen vielmehr zwei einfache Korrekturen:
(1) Alle Personen, die eine Beteiligung an einem Unternehmen erwerben, werden behandelt wie leibliche Kinder. Entsprechende Ergänzungen des Erb- und Erbschaftsteuerrechts wären leicht umsetzbar.
(2) Das Konzept der Familienstiftung wird vereinfacht, erweitert und zu einer umfassenden Idee einer treuhänderischen Unternehmensträgerstiftung ausgebaut. Auch dies wäre ohne weiteres machbar.
Natürlich werden die Fans des „Steuernagel-Modells“ jetzt fragen, wo die Vorteile eines solchen Konzepts gegenüber ihrem Ansatz liegen. Auch dies lässt sich leicht beantworten.
Erstens: Der Scheingegensatz zwischen Verantwortungskapitalismus und Familienkapitalismus würde aufgehoben. Familienunternehmer und Verantwortungsunternehmer stünden sich nicht feindlich gegenüber, sondern könnten Hand in Hand marschieren zum Wohle eines deutschen Gemeinwohlkapitalismus. Das würde unserem Land guttun.
Zweitens: An die Stelle eines starren Konzepts würde ein System mit vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten treten. Familieneigentum, Investoreneigentum, Managereigentum und Verantwortungseigentum könnten auf mannigfache Weise miteinander kombiniert werden. Diese Kombinationsmöglichkeiten sind seit jeher die Stärke unseres Gesellschaftsrechts. Wir sollten sie nicht einschränken, sondern erweitern.
Wie gesagt: Die Idee ist großartig: Die Ausführung ließe sich noch verbessern.
Mit dieser Anregung bin ich für heute mit den besten Grüßen
Ihr Peter May