Eine Frage der Haltung

Prof. Dr. Peter Mays KLARTEXT vom 17. Mai 2021 zum Ende des Familienstreits bei Tengelmann.

Klartext

 

Liebe Familienunternehmerinnen, liebe Familienunternehmer!

Für alle Freunde des Familienunternehmens war es wahrscheinlich die beste Nachricht der letzten Wochen, als die Parteianwälte Mark Binz und Peter Gauweiler Ende April ganz offiziell das Ende eines Familienstreits bekanntgaben, der nicht nur die Nerven der Beteiligten, sondern auch das öffentliche Image der Familienunternehmen auf Stärkste beschädigt hat. Die Erben des langjährigen Unternehmenschefs Karl-Erivan Haub verkaufen ihre Anteile an ihren Onkel Christian Haub, der sich damit die nahezu uneingeschränkte Macht bei Tengelmann sichert.

Als langjähriger Vertrauter der Familie Haub und insbesondere des verschollenen Karl-Erivan und seiner Familie möchte ich das Ergebnis nicht bewerten. Nur, dass es mich freut, dass das Drama bei Tengelmann nun ein Ende hat, möchte ich an dieser Stelle nicht verhehlen.

Zugleich möchte ich das Ende dieses großen Konflikts zum Anlass nehmen, eine grundlegende Erkenntnis zum Konfliktverhalten in Unternehmerfamilien mit Ihnen zu teilen. Denn die öffentlich ausgetragenen Familienfehden bei Tengelmann, Tönnies, Bahlsen oder Oetker beherrschen zwar die öffentliche Wahrnehmung über Konfliktmanagement in Unternehmerfamilien, in Wahrheit bilden sie jedoch nur die Spitze des Eisbergs und nicht den Eisberg selbst. Konflikte um Geld, Macht und Anerkennung gehören zum Wesen familiärer Beziehungen und kommen damit auch in Unternehmerfamilien mit unschöner Regelmäßigkeit vor. Wenn es dabei nur relativ selten zu Entgleisungen wie im Fall Tengelmann kommt, drängt sich Frage auf, was die einen von den anderen unterscheidet: Warum entgleisen die Konflikte bei der einen Familie, während eine andere den gleichen Konflikt ruhig und sachlich löst?

Ich habe in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Vielzahl von Konflikten in Unternehmerfamilien begleitet und dabei eine simple Erkenntnis gewonnen: Der Verlauf von Konflikten hängt von der Haltung der Unternehmerfamilie ab. Dabei lassen sich zwei diametral entgegengesetzte Grundprägungen unterscheiden – die egoistisch geprägten und die gemeinschaftsorientierten Unternehmerfamilien.Gemeinschaftsorientierte Unternehmerfamilien müssen zwar ebenfalls mit all den natürlichen Konflikten in einer Unternehmerfamilie leben, sie verfügen jedoch über eine eskalationsbegrenzende Grundhaltung: „Nimm Dich nicht so wichtig“, „Das Gemeinschaftsinteresse ist wichtiger als das Individualinteresse“ oder auch „Friede ernährt, Unfriede verzehrt“. Solcherart geprägte Unternehmerfamilien bezeichnen sich in der Regel nicht nur als „Treuhänder“ des Unternehmenseigentums, sie handeln auch so. Ausgestattet mit diesen Glaubenssätzen verfügen sie in der Regel über starke Gemeinschaftswerte, einen ausgeprägten Fairness-Gedanken und gut ausgearbeitete und erprobte Spielregeln zum Umgang mit Konflikten und entwickeln so das, was ich in einem kürzlich gemeinsam mit meinem Kollegen Benedikt Kastrup verfassten Aufsatz für die Zeitschrift „DIE NEWS“ als „positive Konfliktfähigkeit“ bezeichnet habe.

Ganz anders die egoistisch geprägten Unternehmerfamilien. Auch sie reden gerne von „Firma geht vor“, nur leben sie das nicht. In egoistisch geprägten Unternehmerfamilien gibt es keine natürliche Unterordnung unter ein Gemeinschaftsinteresse. Jeder ist sich selbst der Nächste, fühlt sich als Eigentümer eines für ihn bedeutenden Vermögenswertes, den es zu schützen gilt und kämpft für Erhalt und Mehrung von persönlichen Geld-, Macht- und Ansehensinteressen – notfalls auch gegen die eigene Sippe und mit allen Mitteln. Wer so denkt, hat mit „Friede ernährt, Unfriede verzehrt“ wenig im Sinn und

steigt in einem Quasiautomatismus die Eskalationsspirale Stufe um Stufe empor – so lange, bis der uneinsichtige Gegner endlich besiegt und unterworfen ist. Egoistisch geprägte Unternehmerfamilien folgen einer sturen Machtlogik, weshalb bei ihnen Konflikte in der Regel erst dann eskalieren, wenn ein zuvor starker Machthaber Schwäche zeigt oder wegfällt. Es ist eben kein Zufall, dass die Konflikte bei Oetker, Tengelmann und vielen anderen erst nach dem Tod der Patriarchen ausbrachen.


Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein klares Bekenntnis: Die egoistische Verfolgung persönlicher Interessen innerhalb einer Gemeinschaft und die mit Macht erzeugte Unterwerfung des Gegners ist kein anerkennenswürdiges Verhaltensmuster. Die Zukunft muss den gemeinschaftsorientierten Unternehmerfamilien gehören. Dafür kämpfe ich und dafür arbeiten wir. Wer lernen möchte, wie man Konflikte friedlich bewältigt, konfliktfähig und gemeinschaftsorientiert wird, dem können und wollen wir helfen. Wer lieber Powerplay spielt, ist anderswo besser aufgehoben.

 
Mit dieser Anregung bin ich für heute mit den besten Grüßen

Ihr Peter May